Elena Messner – „Das lange Echo“

 

HPIM3418Eine junge Literaturwissenschaftlerin schafft mit ihrem literarischen Debüt einen bedeutenden Beitrag zur offiziellen Erinnerungskultur 

Am 28. Juni vor genau 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus und noch immer scheint eine angemessene Erinnerungskultur ein Problem zu sein.

Ich erinnere mich an meinen Geschichtsunterricht und die immer wiederkehrende Thematik der Weimarer Republik und des Zweiten Weltkriegs. Dann erinnere ich mich an meinen Deutschunterricht und damit an eines der größten Bücher, das ich je gelesen habe:

Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, die Schilderung der grauenvollen Erfahrungen an der Front aus Sicht des jungen Soldaten Paul Bäumer und die eindringliche Beschreibung der menschlichen Verrohung brachten mich endlich dazu, mich auch mit dem Ersten Weltkrieg ausführlicher auseinanderzusetzen. 

Pünktlich zum Gedenkjahr wagt eine junge Autorin mit ihrem literarischen Debüt ebenfalls den Versuch. Ihre ganz eigene Auseinandersetzung mit dem Jahr 1914, vor allem aber mit dem Jahr 2014: Elena Messners „Das lange Echo“ erscheint in diesem Jahr im Wiener Verlag Edition Atelier und beeindruckt. Mit ihrem Beitrag zur Erinnerungskultur und vielmehr noch dem Hinweis auf die politische Zukunft, schafft die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, die ihre Dissertation zu südslawischer Literatur, Literatursoziologie und interkulturellem literarischen Transfer geschrieben hat, ein ebenso eindringliches Werk wie das von Remarque. 

Der österreichisch-ungarische und kaisertreue Soldat Milan Nemec ist seit 1916 in Belgrad stationiert und muss dort mit ansehen, wie sein Reich zusammenbricht. Dabei hinterfragt er zum ersten Mal die bis dahin für selbstverständlich gehaltenen ‚Wahrheiten’ und realisiert, dass er als Einzelner dem Staat eigentlich völlig egal ist. Aufgrund der ungeheuerlichen Brutalitäten, die er auf den Balkanfeldzügen mit ansehen musste, beginnt er an der Menschlichkeit zu zweifeln. In Belgrad soll nun ausgerechnet er hohen Besuch aus Wien empfangen, mit dem er eine folgenschwere Auseinandersetzung beginnt.  

Hundert Jahre später geht es wieder um Milan Nemec, allerdings als Teil der Erinnerungskultur und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum. 

Als es um die Aufarbeitung der Fakten über Milan Nemecs Aufenthalt in Belgrad und seines Gesprächs mit dem Wiener Besuch geht, geraten die Direktorin, „die es geschafft hatte, die Besucherzahlen des Museums zu verdreifachen, und zwar nicht auf dem Wege der Eintrittspreisreduzierung“, und deren Assistentin, „eine zwanzig Jahre jüngere Militärhistorikerin, die sich mit ihrer militärhistorischen Dissertation über den Fall Milan Nemec als Balkanexpertin ausgewiesen hatte“, in einen wissenschaftlichen Disput. 

Sie streiten über Interpretation und Faktenlage, über Objektivität und Moral, und vor allem, über einen angemessenen Umgang mit Geschichte. 

Elena Messner verbindet in ihrem ersten Roman Vergangenheit und Gegenwart, Wissenschaft und Literatur und schafft damit ein Plädoyer für Widerstand gegen Nationalismus und Kriegshetzerei. Mit kritischen Augen betrachtet sie die offiziell betriebene Erinnerungskultur, aber auch die aktuelle politische Lage, in der immer noch zu viele Fakten ausgeklammert und zu wenig Dinge thematisiert werden. 

Ich muss zugeben, dass ich „Das lange Echo“ zweimal lesen musste, um vollständig zu begreifen, was Elena Messner da Großes geschaffen hat. Auch wenn das Schweigen in ihrem literarischen Debüt eine wichtige Rolle spielt, so nimmt sie doch kein Blatt vor den Mund. 

Die Echos klingen nach und was Elena Messner uns mitteilen möchte ist ganz einfach an den zusammengenommenen Überschriften der einzelnen Kapitel abzulesen: „Warum wir uns nicht erinnern sollen, es aber dennoch tun müssen.“ 

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Elena Messner
Das lange Echo
edition atelier, Wien
ISBN: 978-3-902498-93-9
191 Seiten, 18,95 Euro