Die ‚gemütliche’ Leipziger Buchmesse, ein Erfahrungsbericht

IMG_0126Wieder ist Buchmessenzeit, diesmal in Leipzig, sehr viel kleiner, aber auch sehr viel gemütlicher, falls man das Wort gemütlich überhaupt im Zusammenhang mit einer Messe in Erwägung ziehen kann. Besser vorbereitet und vom ersten Tag an mit dem Veranstaltungskalender bewaffnet, mache ich mich auf ins Getümmel. 

Auf dem Weg zum Messegelände treffe ich bereits die ein oder andere verkleidete Gestalt und frage mich kurz, ob denn die Faschingszeit nicht schon vorbei sei, aber dann fällt es mir ein: Buchmessenzeit heißt in Leipzig auch Mangazeit. Die japanischen Comics werden auf der Messe ebenfalls präsentiert und die wahren Liebhaber versuchen ihren Helden so ähnlich wie möglich zu werden. Aufwendige Kostüme und das ein oder andere schockierende Bild begeistern und verwundern Besucher und Presse die ganze Messe über.

Ich jedenfalls habe mir viel vorgenommen und weiß, dass ich auch dieses Jahr nicht alles davon schaffen werde.

Ich beginne groß, mit Heino, der in der Autoren-Arena der Leipziger Volkszeitung über sein  Buch Mein Weg spricht. Mit 76 Jahren das erste Buch zu veröffentlichen ist spät, aber wirksam. Klar, es ist seine Autobiografie. Längst ist Heino nicht mehr nur bei Schlagerbegeisterten beliebt, seit er zusammen mit Rocklegenden musiziert, findet ihn auch ein jüngeres Publikum gut. So stehen ein paar etwa 14-jährige Mädels neben mir und stellen fest: „Mein Vater wird staunen, wenn ich ihm sage, dass wir die Lesung haben sausen lassen, um Heino zu sehen …“

Mein zweiter Programmpunkt ist das taz-Gespräch mit dem Schweizer Erfolgsautor Martin Suter, das sogar für eine ganze Stunde angesetzt ist. Selbstverständlich bekomme ich keinen Sitzplatz, aber das macht ja nichts, wenn die Veranstaltung unterhaltsam ist. Ist sie leider nicht. Der Moderator und Leiter des Kulturressorts der Berliner Tageszeitung scheint sehr viel  aufgeregter als der Autor, was an sich ja nicht schlimm ist. Allerdings vermasselt er die Stimmung gleich zu Beginn, als er Suters Gefühl der Überwältigung aufgrund der Platzierung  eins auf der Bestsellerliste als „Luxusproblem“ bezeichnet. Die Art, wie er dann seinen Fragenkatalog strikt abzuarbeiten versucht und dabei auf keine der Antworten des Autors eingeht, hilft dem Gespräch nicht. Dazu kommen das mich persönlich wenig ansprechende Thema Finanzwirtschaft seines neuen Krimis Montecristo und der sympathische aber gleichzeitig etwas ermüdende Schweizer Dialekt und ich muss leider aufgeben, bevor ich im Stehen einnicke.

Im Weitergehen sehe ich Oskar Roehler im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, der gleichzeitig als Autor und Regisseur arbeitet und so seine Romane gleich selbst verfilmen kann. Sein aktuelles Buch Mein Leben als Affenarsch berichtet über das Leben im Berliner Untergrund.

Besonders viele Politiker scheinen auf dieser Buchmesse anwesend zu sein – angefangen bei Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der gefühlt an jeder Ecke und rund um die Uhr sein Buch Vertagte Zukunft vorzustellen scheint, über Rita Süßmuth, auf dem „blauen Sofa“ im Gespräch mit Wolfgang Herles über Das Gift des Politischen, bis hin zu Gregor Gysi im angeregten und publikumsumdrängten Gespräch mit Friedrich Schorlemmer.

Die sogenannte „E-Book-Lounge“ meide ich bewusst, sehe aber im Vorbeigehen, dass vom Papier gelesen wird.

Mein persönlicher Höhepunkt ist selbstverständlich der Auftritt des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass, ich würde es sogar wagen, Die Blechtrommel nach wie vor als mein Lieblingsbuch zu bezeichnen. Heute ist er auf dem „blauen Sofa“ zu Gast, um über den ersten Band seiner neuen Reihe Freipass zu sprechen. Geplant ist ein Sammelwerk, das wichtige Fragen zu Literatur und Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts behandeln soll. Der erste Band handelt von Schriftstellerin Irmtraud Morgner (1933-1990) und vom NSA-Überwachungsskandal mit seinen Folgen für die Literatur. Mit dabei ist sein dänischer Übersetzer Per Øhrgaard, der im Vergleich doch eher selten zu Wort kommt.

Zur Einführung liest der Moderator „aus gegebenem Anlass“ einen Teil aus den Tagebüchern des großen Fritz J. Raddatz, der nun leider nicht mehr unter uns weilt, „aber sicher von irgendwo zuhört“. Sarkastisch wie gewohnt zitiert Wolfgang Herles den Journalisten, Schriftsteller und Literaturkritiker, der sich im Februar mit 83 Jahren das Leben nahm. Er habe sich bewusst dafür entschieden zu gehen, antwortet Grass auf die Frage, ob er seinen langjährigen Freund und Kollegen vermisse. Ein anrührendes und beeindruckendes Gespräch und der immer wiederkehrende Gedanke, dass dort oben nun wirklich einer der letzten Großen sitzt, definieren diese halbe Stunde.

Mein zweiter Höhepunkt ist Sibylle Berg im Gespräch mit Denis Scheck im ARD-TV-Forum.

In ihrem Buch Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand erzählt sie vom Leben über 40, von einem Theaterregisseur und dem Narzissmus der Kunst. Denis Scheck erzählt sie, dass sie sich vom Gehaltsscheck dafür nach 10 Jahren endlich einmal neue Schuhe kaufen konnte – auf die schönen neuen Schuhe weist sie im Gespräch des Öfteren hin, aber genau so entsteht ein unterhaltsamer Dialog zwischen zwei beeindruckenden Persönlichkeiten, ein Gespräch über die schönsten und schlimmsten Momente im Prozess des Schreibens und darüber, warum Bergs Roman in ihren Augen nie zu einem Klassiker werden wird.

Natürlich habe ich es wieder nicht geschafft, mir jede vorher eingeplante Veranstaltung anschauen zu können, denn zwischendurch muss man ja auch mal ausruhen, sich etwas vollkommen Überteuertes und dafür viel zu Kleines zum Essen genehmigen oder auch gerne mal eine halbe bis dreiviertel Stunde an der Toilette anstehen. Das Gute an unserer modernen Welt ist ja, dass ich mir die Gespräche mit – zumindest den wichtigsten Autoren – hinterher ganz in Ruhe im weltweiten Netz anschauen kann.