Total berechenbar?

IMG_0425Die zentrale Frage, der Christoph Drösser in seinem Buch Total berechenbar? Wenn Algorithmen für uns entscheiden nachgeht, könnte lauten: Berechnen Algorithmen unseren (Wirtschafts-)Markt nur oder beherrschen sie ihn sogar? Das mag eine gute Frage sein, aber was ist ein Algorithmus eigentlich?

Drösser erklärt, dass das Wesen eines Algorithmus in seiner Einfachheit liegt. Dabei können sie ungemein kompliziert wirken, zum Beispiel wenn sie zum Schach spielen entwickelt wurden, dann sind sie gespickt mit zahlreichen Verästelungen. Im Grunde sind sie aber ganz einfach, sie geben geben eine Anweisung, die unmissverständlich ist.

Und was hat das nun mit unserem Markt zu tun? Im Grunde ist auch das ganz einfach: Das Internet mit den Suchmaschinen, Routenplanern und ähnlichem basiert auf Algorithmen. Suchmaschinen wie Google lenken dabei unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Internetseiten, denn die Ergebnisse unserer Suche sind keineswegs zufällig. Allerdings sind sie auch nicht durchweg geplant, häufig resultieren sie aus maschinellen Berechnungen: aus Algorithmen.

Vor allem an der amerikanischen Börse scheinen sich die kleinen Biester hin und wieder schonmal selbständig zu machen. 2012 erwachte ein eigentlich deaktivierter Algorithmus zum Leben und verursachte einen finanziellen Alptraum (Knightmare) für das Unternehmen Knight Capital, das folglich von einem anderen Unternehmen geschluckt wurde. Und schon sind wir bei der künstlichen Intelligenz, von der einige Action-Film-Fans behaupten, sie würde eines Tages die Weltherrschaft an sich reißen. Klingt plötzlich gar nicht mehr so utopisch? Besser ist es wohl, denn wenn man einmal genauer darüber nachdenkt, dann ist es eigentlich viel gefährlicher, nicht daran zu glauben, dass es einmal so kommen könnte. Das gruselige an der Sache bleibt wohl, dass wahrscheinlich niemand weiß, wie sehr die Algorithmen alias künstliche Intelligenz einmal unser Leben und unsere Gesellschaft bestimmen wird.

Ein wirksames Mittel, um sich in dieser „neuen Welt“ zurechtzufinden sei die Bildung. Kinder wachsen heute wie selbstverständlich in der digitalen Welt ihrer Computer auf. Das Internet ist voll von Algorithmen, die häufig nur unser bestes wollen, nämlich unsere Aufmerksamkeit und unsere Kaufkraft. Der beste Weg, sich davor zu schützen ist der des Wissens. Denn wenn wir wissen, womit wir es zu tun haben, dann fallen wir bestenfalls auch nicht darauf rein.

Wie besorgniserregend der Einfluss unserer Computer auf uns ist, muss jeder selbst entscheiden. Jedoch kann es nicht schaden, sich zu fragen, wie weit dieser Einfluss reichen soll. An dieser Stelle bietet Drösser die richtigen Fragen und Antworten ohne dabei ins Verschwörungstheoretische abzudriften. Und auch die Vorteile der Algorithmen zeigt er auf, zum Beispiel wenn wir für ein bestimmtes Ziel einen Plan brauchen: Man nehme einen Algorithmus.

Für mathematisch Unbegabte wie mich können bei der Lektüre des Buches bereits ab Seite 30 vermehrt Leerstellen auftreten, diese gehen aber Hand in Hand mit interessanten Erkenntnissen, etwa über japanische und russische Rechenwege, die so ganz anders sind als die Rechenwege, die wir hierzulande beschreiten. Und leider muss ich zugeben, dass es mir beim ersten Lesen nicht möglich war, alle Sachverhalte nachzuvollziehen – aber wie bei den Schriften kluger Philosophen kann das auch in diesem Fall nur für das Buch sprechen.

Wenn Drösser auch gänzlich auf Fachsimpelei verzichtet, so konfrontiert er seine Leser etwa mit einer Internetseiten-Relevanz-Verlinkungsberechnung (Pagerank) und einer Graphentheorie – Berechnungen, bei denen meinen Gehirn nicht mehr als „Waaaaaaaas?“ von sich gibt. Das liegt wahrscheinlich weniger an der Komplexität des Relevanzberechnungsdings als vielmehr an meiner Inkompatibilität mit der schönen Mathematik, das war schon in der Schule so. Ich erinnere mich noch daran, wie mein Dänischlehrer in der dritten Klasse zu mir sagte: „Die einen denken mathematisch, die anderen eben literarisch, dann machst du halt Literatur.“ Gesagt, getan, und schon war der Algorithmus meines Lebens in Gang gesetzt.

Graue Zellen bringt Drösser jedenfalls in Gang, schon deshalb lohnt sich dieses Buch. Eine erfrischende Lektüre, die viele interessante Erkenntnisse bereithält.


Klappentext
Von der harmlosen Buchempfehlung bei Amazon und der Auswahl des Partners beim Online-Dating bis zu selbstfahrenden Autos: Algorithmen nehmen uns das Denken ab. Doch sie denken vollkommen anders als wir! Bestsellerautor Christoph Drösser erklärt, wie – und gibt uns die Macht über sie zurück.

In seinem Buch wägt Drösser Nutzen und Nachteil der Algorithmen sorgsam ab. Er beleuchtet die positive Rolle bei der Vorhersage von Katastrophen und Epidemien genauso wie ihre unheilvolle beim Trading an den Börsen oder bei der noch unausgereiften Vorhersage von Verbrechen. Ein Buch, geschrieben mit aufklärerischem Furor, das uns ein Stück Netzautonomie zurückgibt.

Christoph Drösser, Jahrgang 1958, ist ehemaliger Redakteur und Mitarbeiter im Ressort Wissen der Zeit und verfasst für sie seit 1997 die Kolumne Stimmt´s?, in der er Fragen seiner Leser nach Mythen und Legenden des Alltags nachgeht. Seine Verführer-Bücher sind Bestseller. Drösser wurde vom Medium Magazin als Wissenschaftsjournalist des Jahres ausgezeichnet und erhielt den Medienpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung für seine Verdienste um die Popularisierung der Mathematik. Christoph Drösser lebt mit Frau und Kind in San Francisco.

 

IMG_0425Christoph Drösser
Total berechenbar?
Wenn Algorithmen für uns entscheiden
Carl Hanser Verlag München, 2016
252 Seiten. 17,90 EUR
ISBN: 978-3-446-44699-1
Auch als Ebook erhältlich