Das Versprechen – Friedrich Dürrenmatt

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Tankstelle
Einen Text, der einen wirklich fesselt, aufwühlt und überrascht, liest man nicht häufig. Das Versprechen (1958) von Friedrich Dürrenmatt aber ist ein solches Werk! Als „Requiem auf den Kriminalroman“ betitelt ist es gleichzeitig Kriminalerzählung und gattungskritische Analyse. In Zeiten, in denen das Genre der Krimis boomt, in denen scheinbar jede Großstadt ihre eigene Tatortreihe braucht, darf Dürrenmatts Versprechen nicht in Vergessenheit geraten!

Kriminalkommissär Matthäi ist quasi schon auf dem Weg zum Flughafen, um seinen neuen Posten in Jordanien anzutreten, als in der Zürcher Umgebung die Leiche eines achtjährigen Mädchens gefunden wird. Dieser Matthäi erscheint uns zunächst wie ein Abbild des gefühlskalten, fokussierten Detektivs, der an Poes Dupin oder Sherlock Holmes erinnert: „Er war ein einsamer Mensch, stets sorgfältig gekleidet, unpersönlich, formell, beziehungslos, der weder rauchte noch trank, aber hart und unbarmherzig sein Metier beherrschte, ebenso verhaßt wie erfolgreich.“ Doch mit dem Mordfall des kleinen Mädchens soll sich für Matthäi alles ändern. Während er den Eltern vom Tod ihrer Tochter berichtet, beginnt er mit ihnen mitzufühlen. Das Bild des toten Mädchens und der erschütterten Eltern lässt ihn nicht mehr los. Er ist von all dem Leid so übermannt, dass er der Mutter verspricht den Mörder ihres Kindes zu finden.

Diese menschliche Regung in Matthäi ist für ihn der Anfang vom Ende. Matthäi beschließt nicht nach Jordanien zu fliegen und beginnt zu ermitteln. Der Mord gleicht zwei Fällen aus den vergangenen Jahren, Matthäi geht also davon aus, dass der Täter wieder zuschlagen wird. Er tut alles dafür den Fall aufzuklären und verrennt sich in seine Theorien. Er findet heraus, dass das tote Mädchen sich mit dem sogenannten „Igelriesen“ getroffen hat. Von ihm hat es sogar eine Zeichnung angefertigt: zu sehen sind ein großer Mann, dem kleine Igel aus der Hand fallen und im Hintergrund ein schwarzer Wagen. Diesen gilt es nun zu finden! Ein moralisch fragwürdiges Unterfangen beginnt: Matthäi mietet eine Tankstelle, „beschafft“ sich ein kleines Mädchen, das dem Toten gleicht, um es als Köder für den Mörder auszulegen. Er hofft, dass dieser an der Tankstelle vorbeikommt und vom kleinen Mädchen angelockt wird – Matthäi beginnt zu warten.

Dieser Erzählstrang wird von Matthäis ehemaligem Vorgesetzten geschildert. Dieser Dr.H., Kommandant der Kantonspolizei Zürich, befindet sich in einem Gespräch mit einem namenlosen Krimiautor. Dr.H. berichtet ihm von Matthäis Fall, weil er dem Autor den Unterschied zwischen realen Ermittlungen und denen innerhalb der literarischen Fiktion vor Augen führen möchte. Das gattungskritische Gespräch der beiden Männer bildet die Rahmenhandlung des Romans. Dr.H. wirft dem Schriftsteller vor, dass es in Kriminalromanen „genügt, daß der Detektiv die Regeln kennt und die Partie wiederholt, und schon hat er den Verbrecher gestellt.“ In der Wirklichkeit aber kommt der Zufall den Ermittlern oft in die Quere. Diese Unberechenbarkeit des Lebens ist es auch, die Matthäi im Versprechen zum Verhängnis wird. So wird er jahrelang an seiner Tankstelle warten – ohne Erfolg.

Das Schicksal Matthäis schockiert den Leser und die Gattungskritik am Kriminalroman hebt die ganze Erzählung auf eine zweite Ebene. Dem Vorwurf Dr.H.s entgegentretend, die Fiktion in Kriminalromanen stelle stets nur eine „Lüge“ dar, gibt der unbekannte Schriftsteller die Geschichte um Matthäi und den Igelriesen genau so wieder, wie sie stattgefunden hat. Mit der Pointe der Erzählung, die Dr.H. selbst als „so schäbig“ bezeichnet, „daß sie einfach nicht zu verwenden ist, in keinem anständigen Roman“, muss der Leser erst einmal lernen zurechtzukommen!

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