Grievable Lives – Judith Butler

the-knotted-gun-879289_1280Über den Namen Judith Butler und ihre Theorien ist wohl jeder Studierende einer Geisteswissenschaft schon einmal gestolpert. Die renommierte Professorin für Rhetorik, Vergleichende Literaturwissenschaft und Kritische Theorie an der University of California, Berkeley, konnte nun in Köln im Rahmen der Albertus-Magnus-Professur in Aktion erlebt werden. Mit ihrem ersten Vortrag Die Ethik und Politik der Gewaltlosigkeit hat Judith Butler die Zuhörer, in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula der Uni Köln, zum Nachdenken gebracht!

Anders als viele vielleicht erwartet hatten, ging es dabei nicht um ihre so viel diskutierten gender-Theorien, sondern um einen eher politischen und ethischen Aspekt des menschlichen Daseins, der in Zeiten von Flucht und Terror in unserer Welt nicht aktueller sein könnte. Nämlich die Fragen: Welche Leben sehen wir als erhaltenswert an? Um welche Leben trauern wir in welchem Grad? Und, was passiert, wenn ein Leben nicht als solches registriert wird?

In einer globalen Gesellschaft, die von Ungleichheit und gänzlich verschiedenen Wertesystemen geprägt ist, plädiert Judith Butler dafür, dass jedes Leben noch bevor es verloren geht als betrauerbar angesehen werden sollte. Wenn man darüber einmal kurz nachdenkt, sollte dies eigentlich als selbstverständlich gelten – doch das ist es offenbar in der Tat nicht!

Butler verweist hier auf Michel Foucaults Vorlesung Society must be defended und dessen Aussagen zur Biopolitik. Demnach leben wir in einer Welt, in der es Machtpositionen gibt, die darüber entscheiden, welche Populationen es wert sind zu leben und welche nicht. In einem solchen System gibt es demnach nicht automatisch das Recht auf Leben, sondern dieses muss erst eingefordert werden. Aus diesem Konzept lässt sich eine Kriegslogik schließen, nach der man töten muss, wenn man selbst leben will. Dies erinnert stark an dystopische Jugendliteratur wie Die Tribute von Panem, doch muss man sich fragen, ob es tatsächlich nur innerhalb der Fiktion so ist.

Dass man überhaupt darüber nachdenken muss, welche Leben man als betrauerbar ansieht, zeigt bereits wie sehr wir trotz der Lehren, die wir aus den Weltkriegen, Rassismus und Terrorismus hätten ziehen sollen, noch immer in einem sehr primitiven survival of the fittest-Schema leben. Was ist mit den Flüchtlingen, die im Mittelmeer umkommen? Werden deren Leben betrauert?

Besonders problematisch wird der Gedanke der gewaltlosen Gesellschaft, wenn es um Selbstverteidigung und Notwehr geht. Interessant ist hier, dass Butler zwar zur Gewaltlosigkeit aufruft, doch im selben Atemzug an alle ZuhörerInnen appelliert Kurse in Selbstverteidigung zu nehmen. Dass wir also noch lange nicht in einer Welt leben, in der gewaltloses Miteinander an der Tagesordnung ist, scheint klar zu sein.

Doch gibt es tatsächlich Situationen, in denen das Verletzten oder Töten eines anderen Menschen gerechtfertigt ist? Welche Menschen beziehen wir in das Selbst mit ein, das wir verteidigen würden? Butler verweist hier auch auf die aktuellen Fälle von angeblich aus Notwehr von weißen Polizisten getöteten schwarzen US-Bürgern. Angesichts solcher Geschehnisse, macht Butler eindringlich klar, wie sehr ein Umdenken bzw. ein bewusstes Nachdenken über unser Verhältnis zu Gewalt notwendig ist!

Wer sich nun animiert fühlt, weiter über dieses Thema nachzudenken, kann dies mit Judith Butlers Buch Frames of War. When Is Life Grievable? tun.

Nähere Informationen zur Albertus-Magnus-Professur der Universität zu Köln und Judith Butlers Vortrag gibt es hier:  http://bit.ly/29hs9ze

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