Erich Kästner – mehr als nur ein Märchenonkel

Jeder kennt wohl die Geschichten vom Doppelten Lottchen, von Emil und den Detektiven oder Pünktchen und Anton – all diese hat uns Erich Kästner hinterlassen. Dass er aber viel mehr war und vor allem auch viel mehr sein wollte als ein Kinderbuchautor, ist im gesellschaftlichen Andenken an Kästner nicht unbedingt verankert. Er war politisch engagiert, hat unter der Zensur des Dritten Reiches gelitten und ist einer der wenigen Autoren, die sich vor keinem Genre gescheut haben. In jedem Fall, ein bedeutender deutscher Schriftsteller, mit dem es sich lohnt etwas mehr Zeit zu verbringen. Wie man dies tun kann? Dazu hier einige Empfehlungen:

Wer mehr über Kästner als Mensch erfahren möchte, dem ist die jüngste Dokumentation Erich Kästner – Das andere Ich zu empfehlen. Sie erinnert an den emotional zerrissenen Dichter und gibt Aufschluss über so manchen privaten Kampf Kästners mit sich selbst, dem Alkohol und vor allem auch dem weiblichen Geschlecht. Die NDR-Produktion lässt unter anderem Sänger Campino und Schriftstellerin Cornelia Funke zu Wort kommen, die die Bedeutung des schriftlichen Alleskönners Kästner hervorheben. Vor allem seine noch immer verblüffende sprachlich wie thematische Aktualität betont die Doku. Zu sehen ist diese noch bis zum 29. Januar in der arte-Mediathek.

Für alle die, die das heimische Sofa verlassen möchten, ist das Erich-Kästner Museum in dessen Geburtsort Dresden das passende Ausflugsziel. Das Museum in der Villa Augustin wirbt mit seinem innovativen Museumskonzept, dem interaktiven micromuseum, das jedem Besucher die Möglichkeit bietet seinen ganz persönlichen Eindruck von Kästner zu bekommen. So werden in Schränken und Schubfächern Exponate ausgestellt, die zum Anfassen und Verweilen einladen. Da die Ausstellungsstücke in verschiedene Themenbereiche aufgeteilt sind, kann sich jeder Besucher auf diese Weise gezielt genau das anschauen, was ihn am Leben und Werk des Autors interessiert.

Die beste Methode Kästner kennenzulernen, ist aber natürlich seine Werke selbst zu lesen. Besonders hervorzuheben ist hier Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931). Dieser frühe Roman Kästners, im Allgemeinen als Großstadtsatire bekannt, verdeutlicht prägnant Kästners beeindruckende Fähigkeit die Stimmung, der sich langsam aber sicher auflösenden Weimarer Republik, einzufangen. Leider kommt uns diese Atmosphäre von Unzufriedenheit, Arbeitslosigkeit und dem Ruck nach Rechts auch heute nur zu bekannt vor. Der Leser begleitet den 32-Jährigen Jakob Fabian durch das Tag- und Nachtleben Berlins und, was er beobachtet kann erschreckender Weise als Spiegelbild der jetzigen deutschen Gesellschaft gelesen werden. Den Menschen fehlen Perspektive und Zuversicht und vor allem die, von Fabian dem Moralisten verfochtene, Moral. Die Gesellschaft scheint sich in Drogen, Lügen, zügellosen Parties und Fremdenfeindlichkeit zu verlieren; die Perspektiven verschieben sich. Der Roman, den Kästner selbst bei der Bücherverbrennung 1933 in Flammen aufgehen sah, sollte darum gerade in unserer heutigen Gesellschaft auf der Lektüreliste ganz oben stehen, denn wir sollten alles dafür tun, die Vergangenheit nicht zu wiederholen. Kästner bietet uns mit Fabian einen Einblick hinter die Fassade der Gesellschaft und somit eine Möglichkeit die Gründe aber vor allem auch frühzeitig die Gegenmittel für Extremismus und Hoffnungslosigkeit zu finden.

So kann man Erich Kästner auch über sein “Märchenonkel-Dasein” hinaus entdecken – viel Freude dabei!

Bildnachweis: Basch, […] / Opdracht Anefo – [1] Dutch National Archives, The Hague, Fotocollectie Algemeen Nederlands Persbureau (ANEFO), 1945-1989 bekijk toegang 2.24.01.09 Bestanddeelnummer 912-8730, CC BY-SA 3.0 nl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=36966907.