Wer war eigentlich …

Laotse?

Welchen Einfluss hatte Laotse (604-530 v. Chr.) und was sind die Kerngedanken seiner Philosophie? Wodurch unterscheidet sich seine Lehre zu der des Konfuzianismus? Ich werde eine kleine Reihe starten, in der ich von Zeit zu Zeit einige Philosophen samt ihrer Ideen kurz vorstellen werde. Beginnen möchte ich hierbei mit Laotse, um den sich Zeit seines Wirkens viele Legenden ranken. Der Name Laotse (auch Lao Tse, Lao Zi) ist ein Ehrenname und bedeutet „alter Meister“. Laotse gilt als Gründer des Daoismus, einer Lehre, die alternativ zur Religion gelten und eine Theorie der gerechten Herrschaft darstellen sollte.

Glaubten die Herrscher bis dahin, dass Götter und Ahnen ihr Handeln bestimmen, so gründete sich Laotses Idee einer gerechten Herrschaft im Kontext der praktischen Philosophie – Laotses Philosophie baut auf Fragen der Moral, der Tugendhaftigkeit auf. Es geht also um die Frage nach dem guten Leben. Tugend, so seine Idee, findet man, wenn man dem Weg – dem Dao – folgt.

Dao leitet sich aus dem Titel seines Hauptwerkes Dao De Jing (Tao Te King), dem „Buch vom Dao und vom De“ ab und bezeichnet den Ursprung aller Dinge: Er ist ein Zustand, der sich nicht ändert, doch gleichzeitig ist Dao der Antrieb und Urgrund für alle anderen Veränderungen der Natur. Laotses Lehre zufolge bestimmt Dao die Umwandlung von einem Zustand in einen anderen (z. B. den Übergang vom Tag zur Nacht). Dao verbindet die Dinge der Welt miteinander und schreibt vor, dass nicht nur die Dinge der Welt, sondern auch die Menschen im Einklang mit der Natur leben sollen. Der Mensch soll durch Nicht-Eingreifen, dem natürlichen Ablauf der Dinge freien Lauf lassen.

Um diesen Zustand zu erlangen, muss sich der Mensch von seinen Begehren, seiner Unvernunft und auch von Konventionen befreien, zurückgezogen und einfach leben, seinen Geist stärken und Weisheit erlangen. Dao bezeichnet für den Menschen in diesem Sinne, bescheiden und schweigsam zu leben, denn weise ist, laut Laotse, nicht der, der viel sagt, sondern der, der viel weiß – Weisheit, so Laotse, kann und soll man nicht erklären, sondern nur erfahren. Nur so könne der Mensch den Zustand der Vollkommenheit erlangen und sich dem Absoluten, dem Mystischen, dem Dao nähern.

Dao beschreibt also auch ein Prinzip des Ruhens. Wenn man z. B. mit einer Schwierigkeit konfrontiert ist, lohnt es sich erst über eine Lösung nachzudenken, nachdem der Dao, durch das Nicht-Handeln des Menschen, nicht automatisch eingreift und die Dinge sich nicht von alleine klären. Der Mensch soll eine Schwierigkeit also erst einmal nur zur Kenntnis nehmen und die Sachlage dem Dao überlassen. Geschieht nichts, so leitet einen die Intuition anschließend von alleine zum Einschreiten. Nur, wenn der Mensch den Geschehnissen ihren Lauf lässt ohne Widerstand zu leisten, handelt er in Harmonie mit der Natur.

Den Herrschenden bedeutete Laotse damit, nicht durch viele „Worte“, nicht durch Regeln und Verbote zu regieren, sondern durch tugendhaftes Verhalten ein Beispiel für das Handeln aller anderen zu sein. Der Regierende sollte also eine Geistesrichtung vorgeben, kein Gesetzbuch, er sollte ein tugendhaftes Leben führen und im Einklang mit dem Dao handeln. Nur auf diesem Weg könne Weisheit erlangt werden.

Im Gegensatz zu Laotse, legte Konfuzius wert darauf, die Menschen aus dem ruhenden Zustand (aus dem Zustand des Nicht-Handelns) zu wecken und sie aktiv nach Wissen streben zu lassen. Konfuzius lehrte, dass der Ursprung aller Weisheit im Menschen selbst liegt, nicht, wie Laotse erklärte, im mystischen Absoluten. Stand für Laotse Dao im Mittelpunkt seiner Lehre, so erklärte Konfuzius die Begriffe Treue und Aufrichtigkeit zu seinen obersten Prinzipien. Während bei Laotse Dao die Dinge der Welt ändert, haben bei Konfuzius Treue und Aufrichtigkeit die Kraft der Veränderung. Konfuzius verlagert die Lehre vom Handeln des Staats weiter in Richtung des Einzelnen. Konfuzianismus und Daoismus unterscheiden sich außerdem dadurch, dass der Konfuzianismus den Menschen zur Aktivität auffordert und der Daoismus zu einer passiven, meditativen Lebensweise rät, um endgültige Weisheit zu erlangen.

Was beide Lehren miteinander teilen, ist die Auffassung des Menschen als einen kleinen Teil eines Großen Ganzen, der in Harmonie mit der Welt alles Seienden zu leben hat, um sich dem Absoluten, der Unendlichkeit, nähern zu können und auf diese Weise vollkommenes Glück zu erfahren. Beide Denker erklären das tugendhafte Leben als Schlüssel für das Erreichen ihres Ziels.

Beide Philosophen ahnten nicht, dass ihre Weltanschauungen das Leben in China (und auch über Chinas Grenzen hinaus) über 2000 Jahre lang (in China bis zum Ende des Kaiserreichs 1911) die Gesellschaft in allen Aspekten – von der Verwaltung, über die Politik zur Philosophie – beherrschen und prägen würden und dass aus der Verschmelzung beider Lehren die „Chinesische Religion“ entstehen würde.

Literatur über Laotse und Konfuzius:

Richard Wilhelm (Übersetzung und Kommentare): Laotse. Tao te king, Das Buch vom Weg des Lebens. Anaconda Verlag. 2010

Hans van Ess: Der Konfuzianismus. C.H.Beck Verlag. 2009

Hans Poller: Die Philosophen und ihre Kerngedanken. Olzog Verlag. 2007

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