Anne of Green Gables – die kanadische Pippi Langstrumpf

Ein Mädchen mit roten Zöpfen, einer blühenden Fantasie und einem unerschütterlichen Willen – bei dieser Beschreibung denkt sofort jeder an das eine Mädchen: Pippi Langstrumpf. Dass es vor ihr in der kanadischen Literatur aber bereits ein ebenso mutiges, wissbegieriges und lebhaftes Mädchen gegeben hat, ist kaum bekannt.

Die Kanadierin Lucy Maud Montgomery hat im Jahre 1908 die 13-jährige Anne (die vehement darauf besteht, dass man ihren Namen mit e am Ende schreibt, weil es ihm viel mehr Extravaganz verleihe) zum Leben erweckt. Die Erinnerung an „Anne of Green Gables“ wird nun mit der Netflix-Serie „Anne with an E“ wieder aufgefrischt.

Anne lebt als Waise in einem Kinderheim und hofft und bangt stets darum endlich, ein richtiges und eigenes Zuhause zu haben. Nachdem sie bei mehreren Familien als Hausmädchen traumatische Dinge erlebt hat, soll ihr Traum nun endliche wahr werden. Die Geschwister Marilla und Matthew Cuthbert, beide in ihren 50ern, haben sie adoptiert. Glückselig macht sie sich auf nach Prince Edward Island, einer kleinen Insel im Sankt-Lorenz-Strom in Ostkanada. Doch als hätte sie es insgeheim gewusst, haben die Cuthberts einen Jungen erwartet und kein vermeintlich schwaches Mädchen.

Mit dieser Verwechslung beginnt ein neues Leben für Anne und die Cuthbert Geschwister. Das gewohnte und eintönig gewordene Dasein der alternden Farmer dreht sich um 180 Grad. Auf einmal ist da jemand, der sie aus ihrer Tristesse herausreißt und dem sie wiederum Halt und Perspektive bieten. Anne steckt voller Fantasie und ihre Vorstellungskraft sucht ihresgleichen. Sie kann sich an die entlegensten Orte träumen, sich aus schlimmen Situationen in eine andere Welt begeben und zieht daraus ihre Kraft.

Das Buch, das über neun Millionen Mal verkauft und in 36 Sprachen übersetzt wurde, wird nun in einer Netflix-Serie neu aufbereitet. Amybeth McNulty spielt Anne mit einer solchen Selbstverständlichkeit und zieht den Zuschauer so direkt vom Sofa hinein in die kanadische Prärie und mitten in ihre fabelhafte Vorstellungskraft.

Lucy Maud Montgomery hat die Geschichte eines freien Willens, einer emanzipatorischen Befreiung und der Suche nach einem Zuhause geschrieben. Erstmals 1908 veröffentlicht, war die Geschichte damals, wie das heutige Titellied der Serie richtig beschreibt, „ahead by a century“. Anne ist ihrer Zeit voraus, will sich nichts und niemandem fügen, möchte lernen, möchte die Welt entdecken. Zwar träumt sie auch von einer Hochzeit und einem Mann, der sie liebt, aber bereits als 13-Jährige ist ihr klar, dass sie dafür ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben möchte.

Astrid Lindgren hat sich übrigens in der Tat von Anne, der Heldin ihrer eigenen Kindheit, zu ihren abenteuerlustigen und unkonventionellen Mädchenfiguren inspirieren lassen. Tun wir es ihr gleich. Lasst euch von Annes Vorstellungskraft anstecken!

Die erste Staffel der Serie ist auf Netflix zu sehen. Die Bücher dazu sind im Handel erhältlich.

Foto: CC0 Creative Commons