Im Urlaub aussteigen – „Immer schön die Ballons halten“ von Tobi Katze

Vor zwei Wochen war ich im Urlaub. Holland, Nordseeküste. Die ersten beiden Tage bewölkt mit leichtem Nieselregen, dann prächtiger Sonnenschein, Sonnenbrand und Schwimmen im Meer. Familienurlaub.

„Wie, du fährst mit deiner Schwester weg? Und mit deinen Eltern? Hast du keine Freunde?“ Doch. Hab’ ich. Macht aber nichts. Meine Schwester und ich verbringen einfach ab und an ganz gerne Zeit mit der Familie. Allein das ist schon Urlaub: Rauskommen aus dem Alltag. Ich bin Student, gerade ist noch keine Klausurenphase, meine Schwester ist schon etwas weiter und bereits im Referendariat. Ihr Terminkalender hat insofern Vorrang.

Wir fahren direkt in der ersten Woche ihrer Sommerferien. Der Hund darf auch mit, auch wenn er mittlerweile sehr alt ist und wir ihn im Bollerwagen zum Strand befördern müssen. Reicht dann auch schon an Aktivurlaub. Ab und an, wenn meine Schwester mal wieder – den ihr sehr eigenen – Bewegungsdrang verspürt (keine Ahnung, woher sie den hat), rennt sie eine Runde von der Strandmuschel aus runter zum Meer und trotzt in kindischem Spiel den Wellen. In Erinnerungen schwelgend fühle ich mich plötzlich ganz alt. Ein Vorteil des Jungseins ist es, dass man die Bedeutsam- oder Nichtigkeit der eigenen Erlebnisse noch nicht ausreichend reflektiert und in den Kontext größerer Zusammenhänge eingeordnet hat. Auf diese Weise kann ich genauso schön lange und ausgiebig meine Hände über den Kopf zusammenschlagen, wie meine tatsächlich sehr alte Oma. Was einem nicht so alles einfällt, wenn man mal ein, zwei Tage nichts zum Denken hat.

Ich nehme das Buch zur Hand, das ich samt Unterschrift des Autors vor einiger Zeit bei einer Lesung erworben habe: Tobi Katzes „Immer schön die Ballons halten“. Die Schwester kommt wieder heraufgelaufen, versucht den nass-klebrigen Sand von ihren Füßen zu streichen und streckt sich alsbald auf einem Handtuch zum Sonnenbaden aus. Sie schaut rüber. Ich schaue rüber. Es regt sich wieder Wind. Ich stehe auf, schnappe mir meinen Lenkdrachen und ziehe meinem Vater den Sonnenhut aus dem Gesicht. Der Drachen braucht Hilfe beim Starten.

Am Ende des Urlaubs haben Mutter und Schwester (eine Deutschlehrerin mit äußerster Abneigung gegen langatmiges Lesen – welch Ironie) das Buch durchgelesen. Ich blättere rein: Sie haben mir noch Buchstaben übrig gelassen. Puh! Wie war‘s denn? Leicht melancholische Begeisterung. Beide mögen Henriette sehr. „Wie hieß sie mit Nachnamen, Liebling?“ – „Wie albern.“ –  „Aber doch ein hübsches Spiel.“ Die darauf folgende zweizeilige Debatte über Autofiktion ist dann wirklich albern. Als ich meine Reisetasche auspacke, fällt das Buch aus dem Seitenfach durch ein Raumloch direkt auf meinen Nachttisch. Es ist ein Urlaubsbuch, ein Aussteigerbuch. Nicht von sich aus vielleicht, aber weil wir es kollektiv dazu gemacht haben. Also habe ich jetzt ab und an zwei Seiten Urlaub, wenn ich mich vor dem Schlafen noch etwas wachhalten kann.

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