an meinen Vater

für dich bin ich
gestorben
so wurds mir kolportiert
was zwischen uns
verdorben
hat unsern weg
markiert

nun bist du alt
ich werd es auch
und muss dein schweigen
schlucken
nun wirst du schlank
ich kriege bauch
spür unser
achselzucken

uns eint mein leichtes
kindheitsall
auch wenn du dich
abwendest
bist du mir warmer
widerhall
wo immer du auch
endest

Arne Rautenberg

Ich sehe meinen Vater altern, während ich selbst auch altere. Ich will ihn hören, will, dass er mit mir spricht, doch er schweigt, und mir bleibt nichts weiter übrig, als es hinzunehmen, es zu „schlucken“. Dass ich für ihn „gestorben“ bin, bedeutet, dass ich ihm zuliebe meinen eigenen Willen aufgegeben habe, zumindest hat man mir zugetragen, dass es so sei. Etwas „zwischen uns“, sei es ein Gefühl oder eine Begebenheit, das Freude war, wurde zu Leid, es ist „verdorben“ und meine Erinnerung daran verdunkelt unsere Beziehung, wie sie heute ist. Auch, dass unsere Körper sich verändern, dass seiner an Kraft ab- und meiner zunimmt, nehmen wir hin, wir drücken es aus durch unser „achselzucken“, in dem eine Form von Gleichgültigkeit liegt, und ich fordere ihn auf, es zu spüren, denn wenn er spürt, was ich spüre, ist das auch Kommunikation zwischen uns. Was meinen Vater und mich „eint“ ist mein Kindheits-Ich und auch, wenn er sich von mir abwendet, spüre ich in mir einen „widerhall“, die Resonanz seines Daseins.


Arne Rautenberg (Bildquelle: Wikipedia, Lizenz: CC-BY-SA-3.0, Urheber: Birgit Rautenberg)

So schildert das lyrische Ich in Arne Rautenbergs Gedicht „an meinen vater“ ein schwieriges Vater-Sohn-Verhältnis. Das Gedicht wurde kürzlich auch in die Frankfurter Anthologie aufgenommen und im Internet-Feuilleton der FAZ besprochen (faz.net). Trotz der kaum zu überwindenden Kluft zwischen den Akteuren enthält die dritte und letzte Strophe mit den abschließenden Versen „wo immer du auch endest“ das Versprechen, dass das lyrische Ich seinen Vater nach dem Ableben in guter („warmer“) Erinnerung behalten wird.

Wie es für Arne Rautenberg typisch ist, ist „an meinen vater“ in vollendeter Schlichtheit geschrieben. Formal, durch den Verzicht auf grammatische Regeln wie Satzzeichen oder Großschreibung, gibt es nur die Gliederung in Strophen und Verse. Diese sind im klassischen Kreuzreim und im jambischen Versmaß gehalten. Die traditionell eher beschwingt wirkende Volkslied-Strophe, die Rautenberg für sein Gedicht gewählt hat, wird durch Enjambements zusammengehalten. Auf das Wesentliche konzentriert erheben also lediglich die Gliederung in Strophen, die durch die Enjambements erzeugte Rhythmik sowie der Reim die weltlichen Worte zur Lyrik und in Rautenbergs Poesie, wirkt mit wenigen Worten Großes nach.

Ein gemeinsamer Lebensweg, das Altern und schließlich das Ende, der Tod, die Trauer. Wir kennen auf viele Fragen eine Antwort, aber wenn ein alter Mensch vom Sterben spricht, dann bleibt oft nur Schweigen. Doch was sollen wir auch sagen, wenn uns die Erfahrung im Umgang mit dem Sterben fehlt? Woher sollen wir wissen, was im Angesicht des endgültigen Abschieds tröstend wirkt? Im öffentlichen Raum unserer vernetzten Gesellschaft hat lediglich das Leben und die Verbesserung desselben, die Optimierung unserer Körper einen Platz gefunden, nicht jedoch der Tod. Die Trauerkultur, die uns einen erträglichen Umgang mit dem Tod lehrt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte gewandelt und wird mit der Digitalisierung immer mehr zu einer Sache des Einzelnen, zu einer inneren Angelegenheit sozusagen. Lange Zeit haben die Kirchen unsere Trauerkultur bestimmt, nun dienen Gedenkseiten im Internet als Friedhofs- und Grabersatz, digitale Gästebuch-Einträge ersetzen oftmals den Besuch der Trauerfeier, Zusammenfinden muss man sich heutzutage nicht mehr.

Arne Rautenberg (*1967) ist Schriftsteller, Künstler und Lyriker. Erfahren Sie mehr auf www.kultürlich.de

Textnachweis: Horlemann Verlag, Angermünde 2017