Fasten 1867

Von Luise Hensel

Seh´ich dein Haupt umwunden
Vom blut´gen Dornenband
Und doch den Blick voll Liebe
So treu mir zugewandt:

Dann will das Herz mir brechen,
Das dich zum Tod betrübt,
Und wieder froh sich heben,
Weil du mich So geliebt. –

So will ich dankend. hoffen
Auf deine Gnad und Huld,
Weil durch dein bittres Leiden
Getilgt ist meine Schuld.
Ja, meine tiefe, tiefe Schuld.

Das Gedicht „Fasten 1867“ von Luise Hensel umfasst insgesamt drei Strophen, von denen die letzte Strophe fünf Verse aufweist, die beiden ersten hingegen nur vier. In jeder Strophe reimen sich lediglich der zweite und der vierte Vers, in der dritten Strophe kommt ein fünfter Vers hinzu.

Thematisch kann das Gedicht einer religiösen Anbetung zugeordnet werden.

Die bildliche Beschreibung eines Hauptes, das mit einem „Dornenband“ (V.2) umwunden ist, verrät, dass es sich um Jesus Christus handeln kann, der hier, entweder aus einem Bild heraus oder auch an einem Kreuz hängend, mit einem „Blick voll Liebe“ das lyrische Ich ansieht.

Der liebevolle Blick, der dem lyrischen Ich „treu […] zugewandt“ (V. 4) ist, bricht ihm fast das Herz. Der Schmerz des zu brechen drohenden Herzens wird sodann durch ein frohes „sich heben“ (V.7) abgelöst, nämlich darüber dass das lyrische Ich von dem blutig gekrönten „So geliebt“ wurde. Die Großschreibung des Wortes „So“ innerhalb des achten Verses ist einer gewollten Betonung geschuldet und lässt verlauten, dass es sich dabei nicht nur um die Intensität der Liebe handelt, sondern auch um die Art und Weise, wie diese gegeben wird.

Die dritte Strophe beginnt mit dem Vers „So will ich dankend. hoffen“, dabei entschleunigt die Punktuation zwischen „dankend“ und „hoffen“ den Satz und intensiviert so das Gefühl des Hoffens, hier auf „Gnad und Huld“.

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Luise Hensel, gezeichnet von ihrem Bruder Wilhelm Hensel. (Bild gemeinfrei, aus Wikipedia)

Die Dichterin Luise Hensel wurde 30. März 1798 in Linum bei Fehrbellin geboren. Als ihr Vater, ein Pfarrer, stirbt, zieht sie mit ihrer Mutter nach Berlin. Später schreibt sie gemeinsame Gedichte mit Brentano, sie verbindet eine Freundschaft, die aufgrund von Eifersucht seitens Brentano zerbricht. Liebesavancen erhält Luise auch von dem Komponisten Ludwig Berger und von Wilhelm Müller, sie selbst schenkt ihre Liebe allerdings dem langjährigen Freund Ernst Ludwig von Gerlach. Die intensive Religiösität Luises führt jedoch dazu, dass auch diese Beziehung zerbricht, woraufhin Luise in eine seelische Krise fällt. 1818 konvertiert sie zum Katholizismus und beschäftigt sich fortan als Gesellschafterin, Hauslehrerin, Erzieherin und leitet 1825 das Bürgerspital in Koblenz. 1838 folgte ein Umzug nach Wiedenbrück, seit 1874 lebt sie wieder in Berlin, in einem Kloster.

Am 18. Dezember 1876 stirbt Luise in Paderborn, wo sie seit 1872 in der Nähe ihrer ehemaligen Schülerin Pauline von Mallinckrodt lebte.

Ihre religiöse Hinwendung zeigt sich in vielen ihrer Gedichte. Ein sehr bekanntes Abendlied aus ihrer Feder ist „Müde bin ich, geh´ zur Ruh´.

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Denkmal der Luise Hensel in Paderborn  (Urheber: Ludger1961, GNU-Lizenz für freie Dokumentation 1.2)