Der Schmetterling

Von Friedrich Schlegel

Wie soll ich nicht tanzen,
Es macht keine Mühe,
Und reizende Farben
Schimmern hier im Grünen.

Immer schöner glänzen
Meine bunten Flügel,
Immer süßer hauchen
Alle kleinen Blüten.

Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.

Wie groß ist die Freude,
Sei´s spät oder frühe,
Leichtsinnig zu schweben
Über Tal und Hügel.

Wenn der Abend säuselt,
Seht ihr Wolken glühen;
Wenn die Lüfte golden,
Scheint die Wiese grüner.

Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.

Das lyrische Ich ist in Der Schmetterling von Friedrich Schlegel der Schmetterling selbst. Tanzend fliegt er umher, denn es macht ihm „keine Mühe“ (S.1,V.2). Die Farben der Pflanzen und Blumen reizen ihn, wie Schmetterlinge eben so sind, denn schließlich saugen sie aus den Blüten ihre süße Nahrung. Dass des Schmetterlings Flügel „Immer schöner glänzen“ (S.2,V1) und die Blüten „Immer süßer hauchen“(S.2,V.3) liegt an den fortschreitenden Jahreszeiten, wenn im Frühling die Blumen und Schmetterlinge erwachen und im Sommer zu voller Blüte erwachsen. „Leichtsinnig“ schwebt der Schmetterling über „Tal und Hügel“ (S.4,V.4), die hier als Metapher für die Höhen und Tiefen des Lebens verstanden werden können. Der Schmetterling spricht eine sanfte Drohung gegen uns aus, wenn er verlauten lässt, dass er die Blüten nascht und wir sie nicht hüten können. Nur in dieser wiederkehrenden Strophe hat Schlegel ein Reimschema verwendet (Paarreim) und betont dieselbe dadurch. Literarisch sind Blumen ein Symbol für Jungfräulichkeit. Und dies führt zu einem Deutungsansatz: Denn das lateinische floris (Gen.Sg.: Blume) steckt in dem Wort „Deflorieren“ (deflorare), was die Beraubung der Blüte (hier: „Ich nasche die Blüten“) bzw. der Blume selbst bezeichnet und  zugleich das Fremdwort für die Entjungferung ist. Wenn nun der Schmetterling, der die Blüten „nascht“, und die Blüten selbst als Metapher enttarnt werden, dann haben wir es bei dem lyrischen Ich mit einem Frauenheld zu tun.

Schlegel_1790
Friedrich Schlegel 1790

Karl Wilhelm Friedrich Schlegel wird am 10.3.1772 in Hannover als Sohn eines Pastors geboren. 1788 beginnt er auf Empfehlung seines Vaters eine Lehre bei einem Leipziger Bankhaus, die er jedoch abbricht. Zwar beendet Friedrich auch seine  Gymnasialausbildung nicht, jedoch eignet er sich autodidaktisch das nötige Wissen an, um 1790 ein Studium in den Fächern Jura, Philologie, Geschichte und Philosophie in Göttingen aufzunehmen, dass er ab 1791 in Leipzig fortsetzt. Ein finanzieller Engpass veranlasst Friedrich 1794 zu einem Umzug nach Dresden, wo er bei seiner Schwester unterkommt und als freier Schriftsteller seine Schulen der griechischen Poesie herausgibt. Zwei Jahre später zieht er zu seinem Bruder August Wilhelm nach Jena, zusammen geben sie in der Zeit von 1798 bis 1800 die Zeitschrift Athenaeum heraus. Später zieht Friedrich nach Paris, wo er Vorlesungen über deutsche Literatur und Philosophie hält und Sanskritstudien aufnimmt. 1809 wird er Hofsekretär in Wien und gibt gleichzeitig eine Armeezeitung heraus. Am 12.1.1829 verstirbt Friedrich Schlegel in Dresden

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Titelblatt der Erstausgabe von ‘Lucinde’

Schlegel prägte den Begriff der progressiven Universaltheorie zum Ende des 18. Jh. Dabei handelt es sich um die romantische Poesie (heute: Romantik), die darauf abzielt, die Gesellschaft und das Leben zu poetisieren unter Wiedervereinigung der getrennten Gattungen der Literatur. Auch die Wissenschaften sollten davon nicht ausgeschlossen sein. Die Progressivität ergibt sich dabei aus dem ewigen Werden der Literatur, die im Sinne der Romantik nie vollendet werden kann, weil sie niemals alles erzählen kann, darum bezeichnet Schlegel die Texte der Literatur als Fragmente.

Ausdruck fand die Theorie vor allem in den Fragmenten, die Schlegel in der Zeitschrift „Athenäum“ (Athenäumsfragmente) zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm herausgegeben hat sowie in verschiedenen Essays und seinem Roman Lucinde (1799).

Bildnachweise: http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Schlegel (gemeinfrei)