Der stürmische Seemann und der milde Sturm

Von Martin Ewert

Was habe ich dem Sturm getan?
Ich habe ihm getrotzt!
Er blies mich hart von vorne an,
hat vor Kraft nur gestrotzt!
Ich hab´ in den Wind gespuckt,
wie Seeleute es machen.
Darauf hat er sich geduckt,
ich hörte ihn laut lachen.

„Seemann, du bist viel zu klein,
ich kann dich leicht fortschleppen.“
Ich sagte nur: „Das mag wohl sein,
nur was soll das bezwecken?“
Ich fühlte, wie er mich ergriff
und zornig mich anstarrte.
„Nun schleuder mich schon auf ein Riff!“
Aber er verharrte.

„Du bist mal ein echter Mann,
so was treff´ ich selten.
Du kommst auch noch da voran,
wo andere nur zerschellten.
Ich lass´ dich noch einmal zieh´n,
dich, du Schiffsbegleiter!
Der See kannst du nicht entflieh´n,
dein Ehrgeiz stimmt mich heiter.“

Das mit Kreuzreimen gestaltete Gedicht Der stürmische Seemann und der milde Sturm von Martin Ewert umfasst drei Strophen mit je acht Versen. Es erzählt von einem Mann, der sich einem Sturm entgegenstellt. Während der Wind den Mann „hart von vorne“ (V.3) anbläst, trotzt ihm dieser und spuckt, um sich gegen den Wind wie ein Seemann zu behaupten, in ihn hinein. Doch der Wind „duckt“(V.7) sich und lacht den Mann aus. Weiter verhöhnt der Wind den Mann („Seemann, du bist viel zu klein“, V. 9), woraufhin der Mann ihm Recht gibt und den „zornigen“ (V.14) Wind auffordert, ihn „schon auf ein Riff“ (V.15) zu schleudern wenn er es doch vorhat. Doch den Wind beeindruckt der Mut des Seemanns („Du bist mal ein echter Mann […] Du kommst auch noch da voran, wo andere nur zerschellten.“ V.17-20) und lässt den Mann „noch einmal zieh´n“ (V.21), erheitert durch den „Ehrgeiz“ (V.24) des „Schiffsbegleiters“ (V.22).

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Friedrich Preller der Ältere (1804–1878), Sturm an der Küste
(gemeinfrei, Quelle: Wikipedia)

Bildlich sehen wir einen Seemann, der sich einem Sturm entgegenstellt, der stehenbleibt, auch wenn der Sturm droht, ihn fortzureißen und durch diesen „Ehrgeiz“ bestehen kann. Der Sturm lässt den Mann noch wissen, dass er der See, dem Meer, „nicht entflieh´n“ (V.23) kann und hinterlässt dem Schiffsbegleiter damit die Gewissheit, dass sein Leben den Naturgewalten unterworfen ist. Dabei lehrt das Gedicht uns zweierlei. Zum einen, dass man nicht unbedingt stark sein muss, sondern mutig, um ein übermächtiges Gegenüber zu beeindrucken, wenn man es auch nicht besiegen kann. Und zum anderen, dass wir diesem Gegenüber nicht ins Gesicht spucken sollten, denn jeder, der schon einmal wie der heroische Seemann aus Der stürmische Seemann und der milde Sturm in den Wind spuckte als dieser sich drehte, oder „duckte“, der weiß, dass sie postwendend zurückkommt – und so kommen wir auch an den lustigen Kern des Gedichts.

Thematisch erinnert das Gedicht an den Schriftsteller, Lyriker und Juristen Theodor Storm (1817-1888), dessen Werke stets eine norddeutsche Prägung aufweisen. Auch Storms Figuren mussten häufig den Naturgewalten trotzen, wie zum Beispiel „Der Schimmelreiter“ (1888), wo es schon zu Beginn der Novelle heißt:

Zur Linken hatte ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen Wellen, die unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen und mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten; dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ; denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von treibendem Wolkendunkel überzogen.

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Franz Karl Basler-Kopp: Schimmelreiter
(gemeinfrei, Quelle Wikipedia)

Martin Ewert wird 1975 in Hamburg geboren. Schon in der Grundschule begeistern ihn vor allem Gedichte – später die Lektüre von Schillers Werken. Ewerts Interesse an kultureller Bildung lockt ihn in den späten Achtziger Jahren ins Theater. Aus den Theaterbesuchen wächst die Begeisterung für Musical-Aufführungen, für die es in Hamburg als Deutschlands Musicalhauptstadt viele Gelegenheiten gibt. Ewert studiert Jura und schreibt nebenbei als freier Kulturreporter für verschiedene Magazine über Musicals und das Hamburger Nachtleben. Seine Leidenschaft liegt jedoch in der Lyrik. Dabei sei das Verfassen von Gedichten das wichtigste, dass er je gelernt habe, wie Ewert selbst erklärt. Im Mai 2013 erscheint sein erster Gedichtband mit dem Titel Elbwind & Seerauch.

ewert_elbwind-250 
Martin Ewert
Elbwind & Seerauch
Public Nation Textreihe
ISBN: 978-3-9811196-1-9