Der ewige Hochzeiter

Der ewige Hochzeiter
Von Inge Rosemann

Wo welke Blätter herbstzeitlich
auf Stein und Stufen sammeln sich,
sind zwei Personen hier zu sehen,
die wie auf einer Bühne stehen:

Geneigt bei der Entgegennahme
des Blumenstraußes hat die Dame
aus ihren Händen seitlich jetzt
zwei Wasserkannen abgesetzt,

und raffend mit der linken Hand
die Arbeitsschürze vorm Gewand,
hebt sie die rechte abwehrend,
wie vorsichtig beschwichtigend?

Das Haar gelegt in eine volle
nach vorn gekämmte Lockentolle,
– sodass sich hinten umso mehr
das Hinterhaupt zeigt kahl und leer –

schwenkt zur Visite angezogen
aus etwas Abstand vorgebogen
ein Herr in Frack und handbeschuht
galant seinen Zylinderhut.

Wie eine Schranke sieht er aus,
der fest gebundene steile Strauß,
den mit Verbeugung und Respekt
er fragend ihr entgegenstreckt

und den sie so graziös und zart
in freundlich aufmerksamer Art
sich anschickt, ohne zu beschämen,
als Huldigung dem abzunehmen,

der mit den Blümchen aufmerksam
sich ihr empfiehlt als Bräutigam.
Doch um zu sehen, was sich eben
mit diesem Paar scheint zu begeben,

aus ihrem Fenster vorgebeugt
Madam Adele oben äugt
mit scharfen Blicken angespannt
schräg über ihren Brillenrand,

wie gleichfalls Kleidermachermeister
Herr Neiderl – denn genauso heißt er –
späht weiter unten aus dem Haus
als Lauscher regungslos heraus.

Der Fall ist eine Augenweide
auch für die Wäscherinnen beide,
wo schattig in der Morgenstunde
erhöht schaut aus dem Hintergrunde

der heilige Sankt Florian
des Kandidaten Werbung an.
Ergraut erhebt sich aus der Stadt
der Turm mit Uhr und Zifferblatt,

auf dem die Zeiger in den leisen
Taktschritten umeinander kreisen,
und in den Lüften klar und kühl
weht schon ein Hauch von Herbstgefühl.

 

Das Gedicht „Der ewige Hochzeiter“ von Inge Rosemann erzählt von einer Szene, in der eine Dame einen Blumenstrauß von einem Herrn gereicht bekommt. Mit dreizehn vierversigen Strophen, die durchgängig im Paar gereimt sind, wird jeder Vers von einem vierhebigen Jambus getragen.
Es ist „herbstzeitlich“ (V.1) und die Dame hat „zwei Wasserkannen abgesetzt“ (V.8), die nun neben ihr stehen. Wie „vorsichtig beschwichtigend“ (V.12) hält sie eine Hand vor sich, während sie mit der anderen Hand ihre Schürze rafft. Der Herr, der ihr die Blumen reicht, steht etwas „vorgebogen“ (V. 18), so dass sein „kahler“ (V.16) Hinterkopf zu sehen ist. Dabei steht der Blumenstrauß „wie eine Schranke“ (V.21) zwischen den beiden, die nur überwunden werden kann, wenn die Dame den Strauß annimmt.
Darauf, dass es sich bei dem Besuch des Herren um einen Heiratsantrag handelt, weist zum einen natürlich der Titel des Gedichts „Der ewige Hochzeiter“ und zudem die im Hintergrund sich auftürmende Kirche, „der heilige Sankt Florian“ (V.45) hin, dessen „Zeiger in den leisen Taktschritten umeinander kreisen“ (V.50). Das leise umeinander Kreisen kann hier auch als Metapher für die Beziehung des Hochzeiters und seiner Angebeteten verstanden werden. Dabei werden sie von allerlei Nachbarsleuten beobachtet, „Madam Adele“ (V.34) äugt aus dem Fenster, Herr Neiderl, der „Kleidermachermeister“ (V.37) ist ebenfalls aus dem Fenster gelehnt, um das  Schauspiel zu beobachten (V.44).
Die starke szenische Bildlichkeit des Gedichts lässt sich darauf zurückführen, dass es tatsächlich ein Bild beschreibt, nämlich ein Gemälde des Künstlers Franz Carl Spitzwegs (1808-1885). Spitzweg war von Beruf Apotheker und obwohl er keine künstlerische Ausbildung in Anspruch genommen hatte, entschied er sich 1833 dazu, seinen Beruf gegen den des Malers einzutauschen. Sein Können als Maler hat er sich bis dahin autodidaktisch angeeignet. Spitzwegs Liebe zur Malerei war von Erfolg gekrönt, denn er verkaufte zu Lebzeiten gut 400 seiner Gemälde.

spitzweg

„Spitzweg malte die Werbung des Verliebten in verschiedenen Situationen: Als Sänger in einer nächtlichen Musikantengruppe, durch amtliche oder heimliche Briefzustellung oder als ewiger Hochzeiter. Im Gegenüber des Paares ist jedoch immer ein Zwischenraum, eine Distanz zu überwinden, und immer wieder spähen Matronen mit wachsamen Blicken unter den Spitzenhäubchen aus den Fenstern der biedermeierlichen Kleinstadt.
In diesem Fall erfahren wir sogar den Namen: Es ist Frau Adele, die sich da so weit über das Blumenbrett aus ihrem Fenster lehnt, und wir als Betrachter der Szene schauen gleichfalls: Was wird sich auf den Stufen vor der Fassade des Patrizierhauses begeben? Der Titel, den Spitzweg seinem bis heute so beliebten Bilde gegeben hat, lässt uns indes leise zweifeln an der erfolgreichen Werbung des ‘ewigen Hochzeiters’“. (Inge Rosemann)

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Inge Rosemann

Inge Rosemann begann mit 65 Jahren humoristische Gedichte zu schreiben. Inzwischen sind von ihr elf Bücher erschienen. Sie wurde 1931 in Hannover geboren und arbeitete nach dem Studium in Göttingen (Germanistik und Geschichte) als Lehrerin und Kinderkrankenschwester. Seit 1974 lebt die Autorin auf Norderney.
Nach ihren Erfahrungen als Rentnerin lautet ihre Devise: Ich möchte werben für die Chancen des Alters und seine noch nicht allgemein erkannten geistigen und kreativen Möglichkeiten.

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Liebesträume von Spitzweg
Mit Gedichten von Inge Rosemann,
2. überarb. Aufl., Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8423-6897-2