Der stürmische Seemann und der milde Sturm 3

von Martin Ewert

Ich fühle ihn schon nahen,
ich hab´ eine Gänsehaut.
Denn ich bin mir im Klaren,
dass der Sturm nach mir schaut.

Er liest meine Gedanken,
er weiß, ich hab´ Respekt.
Bringt er mein Schiff ins Wanken,
vor nichts er zurückschreckt.

Er liest in meinen Blicken.
Ich ahne, was er plant.
Mut ist nur ein Flicken,
wenn sich die Angst anbahnt.

„So, da bin ich, Seemann.
Du weißt, warum ich kam.
Angst kündigt sich wie Schnee an,
man wird vor Kälte lahm.

Du darfst dich nicht abwenden.
Hab´ Mut und sieh mich an!
Was anfing, muss auch enden,
selbst wenn es schön begann.“

„Ich will dich nicht betrachten,
du hast keine Gestalt!
Was Hass und Gier entfachten,
war immer nur Gewalt.

Du willst mein Schiff zermalmen,
weil dir mein Stolz missfällt.
Ich greif´ nicht nach Strohhalmen,
wie du nach dieser Welt.“

„Wer soll die Welt gestalten,
wenn es der Sturm nicht macht?
Ich ließ dich Stolz entfalten,
der dich so weit gebracht.

Dein Stolz trotzt allen Wettern,
nur so hielt dein Schiff Stand.
Nun muss ich es zerschmettern,
es liegt in meiner Hand.“

Neun Strophen zählt der dritte Teil der Begegnungen des milden Sturms mit dem stürmischen Seemann.

In Der stürmische Seemann und der milde Sturm 3 ahnt das lyrische Ich bereits zu Beginn des Gedichts, dass der Sturm kommt, dies wird in den ersten drei Strophen deutlich. Das lyrische Ich, welches hier der Seemann ist, hat eine „Gänsehaut“ (V.2), er fürchtet sich, denn der Sturm liest seine „Gedanken“ (V.5) und in seinen „Blicken“ (V.9). Auch weiß der Sturm, dass der Seemann Angst hat, denn zu Beginn des folgenden Dialogs sagt er: „Angst kündigt sich wie Schnee an, man wird vor Kälte lahm“ (V. 15-16). Und doch spricht der Sturm dem lyrischen Ich Mut zu („Du darfst dich nicht abwenden. Hab´ Mut und sieh mich an!“, V.17-18), denn offensichtlich möchte er die Bekanntschaft mit dem Seemann beenden: „Was anfing, muss auch enden“ (V.19). Der Seemann entgegnet daraufhin, dass er den Sturm nicht betrachten will, da dieser keine Gestalt habe, obwohl der Sturm durch Verben wie „schaut“ (V.4) oder „liest“ (V.5+12) personifiziert wird. Für den Seemann ist die Bekanntschaft mit dem Sturm von „Hass“, „Gier“ und „Gewalt“ (V.23-24) geprägt – also ein steter Kampf. Für den Sturm hingegen scheint zumindest der Beginn der Bekanntschaft „schön“ (V.20) gewesen zu sein. Schließlich ist es der Stolz des Seemanns, der ihn wiederholt gegen den Sturm bestehen lässt („Ich ließ dich Stolz entfalten, der dich so weit gebracht. Dein Stolz trotzt allen Wettern, nur so hielt dein Schiff Stand.“, V.31-34) und so wird der Stolz zu einem Schlüsselbegriff in der Bekanntschaft des stürmischen Seemanns mit dem milden Sturm.

Der Sturm wurde im Laufe der Literaturgeschichte auf verschiedene Arten symbolisiert – als Überbringer des göttlichen Willens, als Ausdruck stürmischer Emotionen, als das Schicksal, das über das Leben hinwegfegt oder auch als Krieg. In der Trias des stürmischen Seemanns und des milden Sturms ist es wohl das Schicksal im Gewand des Sturmes, dem der Seemann immer wieder standhalten muss. Die Übermacht des Sturmes kommt dabei klar zum Ausdruck, denn nicht nur der Seemann weiß darum, wenn er sagt: „Er liest meine Gedanken, er weiß, ich hab´ Respekt.“ (V. 5-6), sondern auch der Sturm ist sich seiner Überlegenheit bewusst und gibt dem Seemann zu verstehen, dass er weiß, wie dieser sich gerade fühlt: „Angst kündigt sich wie Schnee an, man wird vor Kälte lahm.“

Das Schiff des Seemanns kann ein Symbol für eine Lebensreise oder für das poetische Schaffen sein. Im Angesicht des Sturms ist das Schiff des Seemanns immer wieder in Gefahr.

In Der stürmische Seemann und der milde Sturm 3 ist es wieder der Sturm, der das letzte Wort hat, nur ist dieses Wort nun viel bedrohlicher, denn das Gedicht endet mit der Ankündigung des Sturms, das Schiff des Seemanns zu „zerschmettern“. (V. 36).

In der ersten Begegnung des Seemanns mit dem Sturm (Der stürmische Seemann und der milde Sturm) ist der Sturm durch des Seemanns Stärke beeindruckt, der Sturm lässt ihn, erheitert durch dessen Ehrgeiz, unbeschadet ziehen.

 

Der stürmische Seemann und der milde Sturm

Was habe ich dem Sturm getan?
Ich habe ihm getrotzt!
Er blies mich hart von vorne an,
hat vor Kraft nur gestrotzt!
Ich hab´ in den Wind gespuckt,
wie Seeleute es machen.
Darauf hat er sich geduckt,
ich hörte ihn laut lachen.

„Seemann, du bist viel zu klein,
ich kann dich leicht fortschleppen.“
Ich sagte nur: „Das mag wohl sein,
nur was soll das bezwecken?“
Ich fühlte, wie er mich ergriff
und zornig mich anstarrte.
„Nun schleuder mich schon auf ein Riff!“
Aber er verharrte.

„Du bist mal ein echter Mann,
so was treff´ ich selten.
Du kommst auch noch da voran,
wo andere nur zerschellten.
Ich lass´ dich noch einmal zieh´n,
dich, du Schiffsbegleiter!
Der See kannst du nicht entflieh´n,
dein Ehrgeiz stimmt mich heiter.“

Während der zweiten Begegnung (Der stürmische Seemann und der milde Sturm 2) muss der Seemann schon „mehr als Mut“ beweisen. Der Seemann bringt diesen Mut auf und sein Stolz lässt ihn dem Sturm erneut standhalten. Auch lässt der Sturm hier noch verlauten, dass es auch für ihn ein „Kraftakt“ ist, gegen den Seemann anzustürmen.

 

Der stürmische Seemann und der milde Sturm 2

Der Sturm hat heute wieder Biss,
er bläst mir ins Gesicht.
Die Weiterfahrt ist ungewiss,
Mut wird nun zur Pflicht.
Wenn der Sturm die Planken streicht
und er an den Segeln reißt,
hilft es nicht, wenn man ausweicht,
sondern mehr als Mut beweist.

Draußen herrscht ein rauer Ton,
auf hoher See ist´s hart.
Risiko ist Seemann´s Lohn,
das bringt ihn erst in Fahrt.
Was ist das für ein Wellenritt,
wenn´s Schiff ins Meer eintaucht?
Manches Fass reißt es dann mit,
das man ansich noch braucht.

Dem Sturm hab´ ich mich zugewandt,
ich halte starr den Blick.
Sein Antlitz ist mir längst bekannt,
er starrt auch stur zurück.

„Seemann, so bist du´s erneut,
dem ich Respekt einflöße.
Ein Seemann, der den Sturm nicht scheut,
beweist mir wahre Größe.
Noch bist du nicht an der Reih´,
noch ist das Schiff stabil.
Es bleibt ein Kraftakt für uns zwei,
dein Stolz ist mir zuviel.“

 

Im dritten Teil geht dem Sturm offensichtlich die Geduld aus, wenn er sagt: „Dein Stolz trotzt allen Wettern, nur so hielt dein Schiff Stand. Nun muss ich es zerschmettern, es liegt in meiner Hand.“ Das dramatische Ende, das den Seemann erwartet, bleibt gewissermaßen offen, denn ob sein Schiff tatsächlich durch den Sturm zerstört wird, erfahren wir nicht.

 

Martin Ewert wird 1975 in Hamburg geboren. Schon in der Grundschule begeistern ihn vor allem Gedichte – später die Lektüre von Schillers Werken. Ewerts Interesse an kultureller Bildung lockt ihn in den späten Achtziger Jahren ins Theater. Aus den Theaterbesuchen wächst die Begeisterung für Musical-Aufführungen, für die es in Hamburg als Deutschlands Musicalhauptstadt viele Gelegenheiten gibt. Ewert studiert Jura und schreibt nebenbei als freier Kulturreporter für verschiedene Magazine über Musicals und das Hamburger Nachtleben. Seine Leidenschaft liegt jedoch in der Lyrik. Dabei sei das Verfassen von Gedichten das wichtigste, dass er je gelernt habe, erklärt Ewert selbst. Im Mai 2013 erscheint sein erster Gedichtband mit dem Titel Elbwind & Seerauch. Es folgen im selben Jahr die Gedichtbände Frau Strampler & Herr Zausel und Federine sowie 2014 Die Seemannsschänke.