Herbstlied

Bald fällt von diesen Zweigen
Das letzte Laub herab.
Die Büsch’ und Wälder schweigen,
Die Welt ist wie ein Grab.
Wo sind sie denn geblieben?
Ach! sie sangen einst so schön –
Der Reif hat sie vertrieben,
Weg über Berg und Höh’n.

Und bange wird’s und bänger
Und öd’ in Feld und Hag;
Die Nächte werden länger,
Und kürzer wird der Tag.
Die Vögel sind verschwunden,
Suchen Frühling anderswo;
Nur wo sie den gefunden,
Da sind sie wieder froh.

Und wenn von diesen Zweigen
Das letzte Laub nun fällt,
Wenn Büsch’ und Wälder schweigen,
Als trauerte die Welt –
Dein Frühling kann nicht schwinden,
Immer gleich bleibt dein Geschick,
Du kannst den Frühling finden
Noch jeden Augenblick.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1836)

 

Das Gedicht „Herbstlied“ von Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahre 1877 gehört zu den Kinderliedern des Autors. Den Titel „Herbstlied“ gibt es dort mehrmals.
In den drei Strophen mit je acht Versen ist ein reiner Kreuzreim vorzufinden, der dem Gedicht eine rhythmische Melodie verleiht.
Die erste Strophe beschreibt eine herbstliche Atmosphäre: Die letzten Blätter fallen vom Baum und in den Wäldern herrscht Stille, wie in einem Grab (V.1-4). Das lyrische Ich fragt sich, wo die Vögel geblieben sind, die einst so schön gesungen haben. (V.5-6). Der kalte Reif, der nun am Morgen auf den Wiesen liegt hat die Tiere „über Berg und Höh´n“ vertrieben. Sie sind in den Süden gezogen und „suchen Frühling anderswo“, um dort wieder fröhlich zu werden und draußen leben zu können. (V.13-16).
Die Ruhe auf den Feldern macht alles „bange“ (V.9) und „öd“ (V.10). Da die Sonne früher untergeht, bricht die Nacht früher herein und der Tag wird kürzer. (V.11-12)
Das lyrische Ich fasst in der letzten Strophe die herbstliche Atmosphäre zusammen: Wenn die Bäume kahl sind und die Stille in den Wäldern an Trauer erinnert (V.17-20), dann solle jeder seinen eigenen Frühling finden, der unabhängig von Jahreszeit, Temperatur und Wetter ist.
An dieser Stelle kann auch ein Deutungsversuch für das Gedicht ansetzen: der Frühling geht vielmehr mit der Persönlichkeit jedes einzelnen einher, der seinen Frühling stets erleben kann. (V.21-24).

In seinem zweiten Gedicht geht Fallersleben auf den Aspekt der Ernte ein, den der Mensch jeden Herbst mit Dankbarkeit empfangen sollte. Diese Gaben des Herbstes sollen angemessen geschätzt werden.

 

Bueste_Hoffmann_Haus
Steinbüste in Fallersleben, Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben wurde am 2. April 1798 in Fallersleben geboren. Als Sohn des Senators und Bürgermeisters von Fallersleben Heinrich Wilhelm Hoffmann und dessen Ehefrau Dorothea Balthasar begann er zunächst ein Studium der Theologie in Göttingen, wechselte jedoch zur deutschen Sprache und Literatur, nachdem er die Bekanntschaft von Jacob Grimm gemacht hatte. Dieser hatte ihn gefragt, ob ihm sein Vaterland nicht näher läge als die Antike. Während seiner Studienzeit war er Mitglied verschiedener Burschenschaften.
Nachdem sein Vater ihn 1818 mit finanziellen Mitteln und durch gute Beziehungen vor dem Militärdienst bewahren konnte und Hoffmann an die Universität Bonn gewechselt war, ging er 1821 nach Berlin um Bibliothekar zu werden. Durch die Freundschaft mit dem Freiherrn Gregor von Meusebach bekam er Zugang zu literarischen Kreisen um Ludwig Uhland, Georg Friedrich Hegel und anderen.
1823 wurde er zum Kustos der Universitätsbibliothek Breslau berufen. Die Berufung zum außerordentlichen Professor für deutsche Sprache und Literatur folgte 1830, 1835 die Ernennung zum ordentlichen Professor. Seine bekannten „Unpolitischen Gedichte“ erschienen 1840 und 1841 und erfreuten sich großer Nachfrage. Jedoch geriet er durch diese und seine politischen Grundsätze, welche für ein einheitliches Deutschland und den Liberalismus standen, in Konflikt mit der Obrigkeit. Folglich wurde ihm 1842 seine Professur entzogen und Hoffmann wurde aus Preußen ausgewiesen.
Mehrere Jahre blieb er ohne festen Wohnsitz und hatte keine Anstellung. Literarisch tätig blieb er weiterhin: auf dem mecklenburgischen Rittergut Holdorf bei Brüel entstanden viele seiner schönsten Kinderlieder. Im Laufe der Märzrevolution half das Amnestiegesetz Hoffmann zurück zu Stand und Ansehen. Er erhielt eine Pension, seine Professur jedoch blieb ihm verwehrt.

1849 heiratete er seine 33 Jahre jüngere Nichte Ida vom Berge. Ihr gemeinsamer Sohn Franz Friedrich wurde Maler, dessen Landschaftsbilder heute im Hoffmann-von-Fallersleben-Museum in Wolfsburg ausgestellt sind. 1860 zog die Familie nach Corvey um, wo Hoffmann als Schlossbibliothekar bei Herzog Victor I. Herzog von Ratibor anfing. Am 19. Januar 1874 verstarb Hoffmann in Corvey, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hatte.

Hoffmanns heute bekanntestes Werk ist das Lied der Deutschen, dessen dritte Strophe die Nationalhymne von Deutschland ist. Außerdem sind seine Volks- und Kinderlieder auch heute noch sehr verbreitet. Lieder wie „Alle Vögel sind schon da“, „Der Kuckuck und der Esel“ sowie „Ein Männlein steht im Walde“ gehören heute zum allgemeinen Kulturkanon.