Ostern

Ja, der Winter ging zur Neige,
holder Frühling kommt herbei,
lieblich schwanken Birkenzweige,
und es glänzt das rote Ei.

Schimmernd weh´n die Kirchenfahnen
bei der Glocken Feierklang
und auf oft betretnen Bahnen
nimmt der Umzug seinen Gang.

Nach dem dumpfen Grabchorale
tönt das Auferstehungslied,
und empor im Himmelsstrahle schwebt er,
der am Kreuz verschied.

So zum schönsten der Symbole
wird das frohe Osterfest,
dass der Mensch sich Glauben hole,
wenn ihn Mut und Kraft verlässt.

Jedes Herz, das Leid getroffen,
fühlt von Anfang sich durchweht,
dass sein Sehnen und sein Hoffen,
immer wieder aufersteht.

Ferdinand von Saar (1833-1906)

 

Das Gedicht „Ostern“ von Ferdinand von Saar beschreibt die hoffnungsvolle Stimmung der Menschen um die Osterzeit herum. Nach dem langen Winter sehnen sie sich nach dem Frühjahr, das Neues bringt. Der Wechsel der Jahreszeiten wird parallel zum Osterfest gesetzt.

In der ersten Strophe des Gedichtes wird das Frühjahr mit positiv konnotierten Adjektiven wie hold (V.2) und lieblich (V.3) beschrieben. Die Vorfreude der Menschen auf ein Aufblühen der Natur und somit eben auch eine Aufhellung des Gemüts ist in der ersten Strophe beinhaltet. Das glänzende rote Ei (V.4) bringt der heutige Leser sofort mit dem Osterbrauch des Eieranmalens in Verbindung. Die Farbe rot kann zudem als Anspielung auf das Blut des Gekreuzigten gesehen werden. Bereits in der ersten Strophe wird so die Verbindung zwischen Natur und Glauben geknüpft. Tod und Auferstehung können als Parallele zum Ende des Winters und dem Frühling als Neubeginn allen Lebens verstanden werden.

Die Prozession, die in der zweiten Strophe beschrieben wird, ist ein alljährliches Ritual, wie die Alliteration der oft betretnen Bahnen in Vers 7 verdeutlicht. Die Gläubigen treten jedes Jahr von neuem diesen Weg an, um mit schimmernden Kirchenfahnen (V.5) den Neuanfang zu begehen. Das Enjambement von Vers 7 in Vers 8 unterstützt das zirkulierende Bild der Prozession ebenso wie den Kreislauf der Jahreszeiten.

Der dumpfe Grabchoral in Vers 9 steht für den Winter, der nun durch das Auferstehungslied (V.10), das den Frühling symbolisiert, abgelöst wird. Das gesamte Gedicht ist im Kreuzreim verfasst. Nur an einer Stelle in Strophe 3 wird dieser unterbrochen; und zwar dort wo Jesus selbst angesprochen wird: und empor im Himmelsstrahle schwebt er (V.11). Die Unterbrechung des Reimschemas lässt den Leser innehalten und weist auf die besondere Bedeutung des Gekreuzigten hin.

Die vierte Strophe fasst zusammen, wofür das Osterfest steht, nämlich die Möglichkeit seinen Glauben zu bekräftigen. Aber auch ohne religiösen Hintergrund kann das in Strophe 1-3 beschriebene ein positiver Anstoß für den
Menschen sein. Die Anstrengungen und Entbehrungen des Winters haben dazu geführt, dass ihn Mut und Kraft verlassen hat (V.16). Das herannahende Frühjahr aber gibt wieder neue Hoffnung, unabhängig vom Glauben.

Dies ist im Besonderen in Strophe 5 beschrieben. Das pars pro toto Herz (V.17)
steht für den Menschen als solchen. Die Personifikation des Herzens in Vers 18 und das Verb durchwehen lassen den Leser den lauen Frühjahrswind förmlich spüren. Jeder Mensch, der durch Leid getroffen wurde (V.17), wird irgendwann spüren, dass er sich wieder auf Neues freuen kann und wieder beginnt zu hoffen.

Zum Autor

Ferdinand_von_saar
Ferdinand von Saar (Foto: Wikipedia, gemeinfrei)

Der österreichische Dichter und Schriftsteller Ferdinand von Saar wurde am 30. September 1833 in Wien geboren. Der Sohn einer geadelten Beamtenfamilie
verliert aber bereits kurz nach seiner Geburt den Vater; daraufhin zieht die Familie in das Elternhaus der Mutter, wo von Saar aufwächst. Nach seiner Ausbildung am Gymnasium in Wien tritt Ferdinand von Saar 1849 ins Heer ein. 1854 wird er zum Leutnant ernannt, doch schon ein Jahr später beendet er seine Offizierslaufbahn und widmet sich der Literatur. Wegen Schulden aus seiner Militärzeit musste von Saar in den nächsten Jahren mehrfach in Haft. Durch die Hilfe einer adligen Gönnerin aber konnte er seine Schulden begleichen und lebte abwechselnd in Wien und auf Schloss Blansko in Südmähren. Im Jahre 1877 erlangte er schließlich mit seinen „Novellen aus Österreich“ größere Bekanntheit. Viele seiner Schriften sind von einer konservativen, eher pessimistischen Grundhaltung bestimmt. In seiner Novelle „Die Steinklopfer“ (1874) übt er zudem heftige Kritik an der schlechten Lage der Arbeiterklasse. Seinen Durchbruch als Lyriker schaffte er mit den „Wiener Elegien“ im Jahr 1893. Allerdings belastet von Saar seine Erfolglosigkeit als Dramatiker. Bereits 1884 hatte sich seine Gattin das Leben genommen und auch Ferdinand von Saar litt zunehmend unter Depressionen. Am 24. Juli 1906 nahm auch er sich das Leben.

Wegen seiner Novellen gilt Ferdinand von Saar heute als einer der bedeutendsten Vertreter des Spätrealismus in der österreichischen Literatur.