Penthesilea

Wir finden sie, die Heldinn Scythiens,
Achill und ich – in kriegerischer Feier
An ihrer Jungfraun Spitze aufgepflanzt,
Geschürzt, der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel,
Und seine Gold- und Purpurtroddeln regend,
Zerstampft ihr Zelter unter ihr den Grund.
Gedankenvoll, auf einen Augenblick,
Sieht sie in unsre Schaar, von Ausdruck leer,
Als ob in Stein gehau´n wir vor ihr stünden;
Hier diese flache Hand, versichr´ dich,
Ist ausdrucksvoller als ihr Angesicht:
Bis jetzt ihr Aug auf den Peliden trifft:
Und Glut ihr plötzlich, bis zum Hals hinab,
Das Antlitz färbt, als schlüge rings um ihr
Die Welt in helle Flammenlohe auf.
Sie schwingt, mit einer zuckenden Bewegung,
– Und einen finstern Blick wirft sie auf ihn –
Vom Rücken sich des Pferds herab, und fragt,
Die Zügel einer Dien´rinn überliefernd,
Was uns, in solchem Prachtzug, zu ihr führe.
Ich jetzt, wie wir Argiver hoch erfreut,
Auf eine Feindinn des Dardanervolks zu stoßen;
Was für ein Haß den Priamiden längst
Entbrannt sei in der Griechen Brust, wie nützlich,
So ihr, wie uns, ein Bündniß würde sein;
Und was der Augenblick noch sonst mir beut:
Doch mit Erstaunen, in dem Fluß der Rede,
Bemerk´ ich, daß sie mich nicht hört. Sie wendet,
Mit einem Ausdruck der Verwunderung,
Gleich einem sechzehnjähr´gen Mädchen plötzlich,
Das von olymp´schen Spielen wiederkehrt,
Zu einer Freundinn, ihr zur Seite sich,
Und ruft: solch einem Mann, o Prothoe, ist
Otrere, meine Mutter, nie begegnet!
Die Freundinn, ihr zur Seite sich,
Die Freundinn, auf dies Wort betreten, schweigt,
Achill und ich, wir sehn uns lächelnd an,
Sie ruht, sie selbst, mit trunk´nem Blick schon wieder
Auf des Äginers schimmernde Gestalt:
Bis jen´ ihr schüchtern naht, und sie erinnert,
Daß sie mir noch die Antwort schuldig sei.
Drauf mit der Wangen Roth, war´s Wut, war´s Schaam,
Die Rüstung wieder bis zum Gurt sich färbend,
Verwirrt und stolz und wild zugleich: sie sei
Penthesilea, kehrt sich zu mir,
Der Amazonen Königinn, und werde
Aus Köchern mir die Antwort übersenden!

Heinrich von Kleist

Bei Penthesilea von Heinrich von Kleist handelt es sich um ein Drama, ein Trauerspiel, dass sich nahezu lyrisch lesen lässt, darum soll hier ein Auszug aus dem ersten Auftritt vorgestellt werden. Das Stück spielt in der griechischen Antike, es handelt von der Begegnung der Amazonenkönigin Penthesilea mit dem Krieger und König Achilles. Der oben aufgeführte Redeanteil stammt dabei von Odysseus, der wie Achilles und seine Gesprächspartner Diomedes und Antilochus ein König eines griechischen Volksstammes ist.
In der Exposition des Dramas beschreibt Odysseus eine erste Begegnung mit der Amazonenkönigin Penthesilea. Diese Begegnung dient vor allem zur Charakterisierung Penthesileas und zur Einführung in den Konflikt zwischen ihr und Achilles.
Die Charakterisierung Penthesileas beginnt Odysseus mit seinem ersten Eindruck von ihr, sie sei „in kriegerischer Feier“ (V. 2). Krieg und Kampf sind keine notwendigen Übel für sie, sondern etwas, das sie mit Leidenschaft betreibt. Ihr Auftritt wird als sehr kraftvoll geschildert, so reitet sie behelmt an der „Jungfraun Spitze“ (V. 3) voran, ihr „Zelter“ ( V. 6), also ihr Pferd, „Zerstampft […] unter ihr den Grund“ (ebenda), sie ist konzentriert (vgl. V. 7: Gedankenvoll) und ihr Ausdruck ist „leer“ (V. 8). Als ihr Blick sich auf den Peliden Achilles richtet, so beschreibt Odysseus, färbt „Glut“ (V. 13) ihr plötzlich das Antlitz mit einem „finstern Blick“ (V. 17). Penthesilea steigt von ihrem Pferd herab und fragt die im „Prachtzug“ (V. 20) vor ihr stehenden Männer, was sie zu ihr führt. Odysseus, vom griechischen Volksstamm der „Argiver“ (V. 21) schlägt ihr daraufhin ein „Bündniß“ (V. 25) gegen die Dardaner und Priamiden vor. Penthesilea jedoch wendet den Blick von Odysseus ab, noch während dieser spricht. Dabei zeigt sie „einen Ausdruck der Verwunderung, Gleich einem sechzehnjähr´gen Mädchen“ (V. 29f) und spricht zu „einer Freundinn“ (V. 32), dass selbst ihre Mutter „solch einem Mann […] nie begegnet“ (V. 33f) sei. Odysseus und Achilles lächeln sich ob dieser Äußerung an, während Penthesileas „trunk´ne[r] Blick“ (V. 37) auf Achilles ruht. Als dieser sich ihr „schüchtern“ (V. 39) nähert, um sie an die Antwort auf Odysseus´ Frage zu erinnern, färbt die Glut erneut ihr Gesicht. Die Amazonenkönigin antwortet „stolz und wild zugleich“ (V. 43), dass sie die Antwort aus Köchern, also mit Pfeil und Bogen, übersenden werde.

Akhilleus_Penthesileia_Staatliche_Antikensammlungen
Penthesilea stirbt durch das Schwert des Achilles (griechische Keramik des sogenannten Penthesilea-Malers um 460 v. Chr.) (Bild: Wikipedia, Public Domain GNU Free Documentation Licence)

Als Amazone ist es Penthesilea durch ihre Mutter vorhergesagt, dass es der Held Achilles sein wird, den sie einst in einer Schlacht bezwingen muss, um ihr Schicksal als Amazone zu erfüllen. Mit eben diesem Ziel, Achilles auf dem Schlachtfeld zu bezwingen, antwortet Penthesilea auf jeden seiner Annäherungsversuche mit einer Kampfansage. Im Kampf selbst erliegt sie ihm und wird ohnmächtig. Als sie erwacht lässt ihre Kriegerin Prothoe sie glauben, dass sie Achilles bezwungen hätte. Achilles selbst ist in diese Lüge eingeweiht und spielt zunächst mit bis Penthesilea wieder zu Kräften gekommen ist. Als Prothoe ihr schließlich eröffnet, dass eigentlich sie nun die Gefangene von Achilles ist und Achilles ihr sagt, dass er sie als Königin an seiner Seite haben will, kann Penthesilea trotz ihrer starken Gefühle ihr Amazonenschicksal nicht überwinden. Als Achilles sie zum Kampf herausfordert, um sich von ihr besiegen zu lassen, versteht sie diese Absicht falsch und zerreisst ihn mithilfe ihrer Hunde.
Was Achilles schließlich das Leben kostet, ist der Umstand, dass er es nicht auf Penthesilea als die Amazone abgesehen hat, sondern auf die Frau, die hinter der Kriegerin steckt. Wo Penthesilea im ursprünglich antiken Mythos durch Achilles Hand stirbt, der sich anschließend tragischerweise in die Tote verliebt, weil er ihre Schönheit erkennt, dreht Kleist den Spieß um und macht aus dem eigentlich kraftvollen Mythos ein vergleichsweise ehrloses Drama um den Geschlechterkampf. Dass Kleist einen „schüchternen“ Achilles und eine Penthesilea mit „trunk´nem Blick“ kreiert, ist inbesondere interessant, wenn man das Drama vor dem Hintergrund der zu Kleists Zeiten üblichen Geschlechterverhältnisse interpretiert.

Heinrich_von_Kleist
Heinrich von Kleist, Bild: Wikipedia, gemeinfrei

Heinrich von Kleist (* 18. Oktober 1777 in Frankfurt) ist laut Metzlers Deutscher Literaturgeschichte ein Außenseiter in der Literaturszene. Sensibel und musisch im Geist kann er sich der Soldatenlaufbahn, die sich seine Familie für ihn wünscht, entziehen. Kleist ist jedoch von Selbstzweifeln geplagt und fühlt sich so hilflos, dass er am 21.November 1811 gemeinsam mit der schwer kranken Henriette Vogel freiwillig den Tod findet. Ein kleines Märtyrertum hat Kleist mit seinem Freitod geschaffen, da er die Öffentlichkeit für die schwierigen Lebensbedingungen nicht etablierter Schriftsteller sensibilisierte.