Sorge nie, daß ich verrate

Sorge nie, daß ich verrate
Meine Liebe vor der Welt,
Wenn mein Mund ob deiner Schönheit
Von Metaphern überquellt.

Unter einem Wald von Blumen
Liegt, in still verborgner Hut,
Jenes glühende Geheimnis,
Jene tief geheime Glut.

Sprühn einmal verdächtge Funken
Aus den Rosen – sorge nie!
Diese Welt glaubt nicht an Flammen,
Und sie nimmts für Poesie.

Heinrich Heine (1844)

 

In dem Gedicht „Sorge nie, daß ich verrate“ berichtet Heinrich Heine in drei Strophen mit je vier Versen von einer heimlichen Liebe zwischen dem Ich-Erzähler und seiner Angebeteten. Das Gedicht weist kein klassisches Reimschema auf, allein die jeweils zweiten und vierten Verse einer jeweiligen Strophe sind im Reim verfasst. Rhythmisch wechselt sich das Metrum zwischen einem vier- und dreihebigen Jambus ab, so auch die Kadenz, die mit einer männlichen beginnt und der eine weibliche folgt.

Die erste Strophe leitet mit der Anrede an eine nicht genauer benannte Person in das Gedicht ein. „Sorge nie, daß ich verrate“ (V. 1), heißt es dort und endet mit einem Enjambement, um dann in der folgenden Strophe fortzufahren. Die Unterbrechung des Satzes steigert die empfundene Notwendigkeit des Geheimnisses um die Liebe des Ich-Erzählers zu der Unbekannten, die er „vor der Welt“ (V. 2) zu verbergen versucht. Zugleich scheinen seine Gefühle so stark, dass er seine Worte der Zuneigung nicht zurückhalten kann. Das macht auch die Hyperbel der folgenden Verse deutlich: „Wenn mein Mund ob deiner Schönheit [v]on Metaphern überquellt“ (V. 3 f.). Wie schon zuvor, sind auch diese beiden Verse durch ein Enjambement verbunden, womit der benannten Schönheit eine besondere Betonung zukommt.

Auch die rhetorische Figur des fünften Verses der darauffolgenden Strophe ist eine Hyperbel, durch die bildhafte Beschreibung jedoch gleichfalls eine Metapher. So heißt es, „[u]nter einem Wald von Blumen [l]iegt“ (V. 5 f.), wodurch zudem erneut ein Enjambement auftritt. Nochmals untermauert der Ich-Erzähler die Relevanz der Geheimhaltung ihrer Liebe, wenn „[j]enes glühende Geheimnis“ (V. 7)„in still verbogner Hut“ (V. 6) liegt. Die „Hut“ ist ein veralteter Begriff für einen Forstbezirk, gleichwohl ist es eine Bezeichnung aus der Fechtkunst, die die Ausgangsposition meint und von der sich die Redewendung „auf der Hut sein“ ableitet. In diesem Zusammenhang wohnt der Situation eine bedrohliche Atmosphäre inne, scheint doch die Angst des Ich-Erzählers, dass seine Liebe entdeckt werden könne, groß. Die metaphorische Alliteration des „glühende[n] Geheimnis[ses]“ (V. 7) ist in Verbindung mit den sich wiederholenden Stilmitteln der „geheime[n] Glut“ (V. 8) durch die der Überkreuzstellung gleicher Wörter ebenfalls ein Chiasmus. Die Eingänglichkeit der beiden Verse durch die Vielzahl an rhetorischen Mitteln unterstreicht auch hier noch einmal die Ausdrucksstärke des Ich-Erzählers.

Die Metaphorik des brennenden Verlangens greift Heine auch in der letzten Strophe auf. So heißt es in den ersten beiden Verse der dritten Strophe: „Sprühn einmal verdächtge Funken [a]us den Rosen“ (V. 9 f.). Die Rose versteht sich als Symbol der Liebe und Leidenschaft, birgt wegen ihrer Dornen jedoch auch immer die Andeutung von Gefahr. Dennoch bittet der Ich-Erzähler seine Liebe, sich nie zu sorgen (vgl. V. 10) und wiederholt somit die Aufforderung des ersten Verses. Denn „[d]iese Welt glaubt nicht an Flammen, [u]nd sie nimmts für Poesie“ (V. 11 f.), begründet er seine beruhigenden Worte und meint damit symbolträchtig die brennende Liebe der beiden. Heine deutet so die Unfähigkeit der Menschen an, wahre Liebe zu empfinden und zu erleben, sondern sie allein in schöne Worte zu verpacken und auch auf diese zu beschränken.

Das Gedicht „Sorge nie, daß ich verrate“ ist 1844 in dem Sammelband „Neue Gedichte“ erschienen. Der Schriftsteller und Journalist Heinrich Heine (1797-1856) gilt als letzter Dichter der Romantik – der Epoche, die sich zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch das künstlerische und literarische Bestreben nach Natürlichkeit und Individualisierung sowie der Abkehr von klassischen Kunstformen auszeichnete. Aus der beginnenden Industrialisierung sowie einer zunehmenden Urbanisierung und den einzwängenden gesellschaftlichen Konventionen folgerten viele Kunstschaffende und Literaten eine Entfremdung der Bevölkerung.

Selbst private Bereiche oblagen strengsten Vorstellungen, wodurch eine freie, sorglose Liebe nur bedingt möglich schien. Auch Heine erfuhr gesellschaftliche Ächtung in dieser Hinsicht, nachdem er sich in die Schuhverkäuferin und somit in ein Mädchen von niederem Stand namens Augustine Crescence Mirat, genannt Mathilde, verliebt hatte. Von geringer Bildung, berufstätig und lebenslustig, entsprach sie nicht den Ansprüchen einer ehrbaren Frau dieser Zeit. Der Kritik und Ablehnung seines Umfeldes und zahlreichen Beziehungskrisen zum Trotz, heiratete Heine seine Mathilde im Jahr 1841, nachdem sie bereits sieben Jahre zusammen gelebt hatten – damals noch ein Skandal – und blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1856 mit ihr zusammen.

Foto: Wikipedia / gemeinfrei