New York (Teil II)

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Wir stehen am neuen One World Trade Center und stoßen auf das Denkmal zum 11. September – zwei riesige Wasserfälle in 4000 Quadratmeter großen Becken sollen daran erinnern, dass das Leben ein niemals enden wollender Fluss ist. Andächtig sind wir, so kann man das vielleicht am besten beschreiben, unbetroffen betroffen stehen wir um die beeindruckenden Springbrunnen, deren Umrisse an die Zwillingstürme erinnern, die am 11. September 2001 in sich zusammenbrachen, auf den bronzenen Tafeln rundherum stehen die Namen der Todesopfer. Das Wasserrauschen soll die Besucher vom Straßenlärm ablenken und sie innehalten lassen, ein schöner Gedanke! Auch wir müssen uns fast zwingen, weiterzugehen, aber es liegt noch vieles vor uns, was gesehen werden will.
Wir schlendern weiter durch Downtown, haben die Wallstreet, an welcher der Kurssturz in den 1920er Jahren die Weltwirtschaft in den Abgrund riss, schon hinter uns gelassen. Ein Ereignis, das einer der meist gefeierten Dramatiker Amerikas, Arthur Miller, als „eine moralische Katastrophe, eine gewaltsame Entschleierung der Scheinheiligkeit hinter der Fassade der amerikanischen Gesellschaft“ beschrieb. Wir durchqueren Chinatown, wo Lucky Luciano, einer der berüchtigtsten Mafiosi Amerikas, Anfang des 20. Jahrhunderts den Kontakt zu Opiumgangs suchte und wo es heute nicht nur einen Haufen Kitsch zu kaufen, sondern auch das beste Dim Sum zu essen gibt. Little Italy interessiert uns als Italienbereiste noch etwas mehr und vermittelt uns einen Hauch von Mafiaflair.

Schließlich erreichen wir das West Village, wo die schokoladenbraunen viktorianischen Reihenhäuser uns für einen kurzen Moment das Gefühl geben, wir befänden uns in einer gemütlichen Kleinstadt. Und natürlich weiß jedes Mädchen, welche Serienfigur hier das ein oder andere Mal auf der Treppe zu ihrem Wohnhaus saß, rauchte und über die Männerwelt philosophierte… Mit dem besten Cupcake der Welt und dem passenden Wein dazu – Ideen muss man haben, um sich von der Masse abzuheben – stärken wir uns nur kurz, bevor es wieder zurück geht in den Großstadtwahnsinn.

Da wir am ersten Tag auch wirklich nichts verpassen wollen, geht es direkt zum Empire State Building, wo wir einen immensen Preis zahlen müssen, um den Ausblick aus dem 86. Stock genießen zu können – der Ausblick aus dem 102. Stock hätte uns glatt noch 20 Dollar mehr gekostet. Aber auch wenn wir noch nicht ganz oben stehen, können wir ein bisschen nachempfinden, welches Machtgefühl King Kong vermutlich gehabt hätte, hätte er wirklich existiert und das Dach vom 443 Meter hohen Wahrzeichen New Yorks erklommen. Wir stehen und staunen, zittern ein bisschen, vor Kälte und vor Ehrfurcht. Die Häuserschluchten unter uns wirken wie Spielzeug.

Schwer kann man sich heute noch vorstellen, welch wilde Landschaft sich einmal dort befand, wo heute ein Wolkenkratzer den anderen zu übertrumpfen versuchen scheint, nur der Central Park erinnert an die üppig blühende Insel, die der englische Seefahrer Henry Hudson schon 1609 vorfand, als er im Auftrag der holländischen Regierung den Seeweg nach China ausfindig machen sollte.

Auf dem Weg zum Times Square entdecken wir einen der urbansten Plätze der Stadt, der uns gleichzeitig vorkommt wie ein verwunschener Ort inmitten des Großstadtdschungels. Der Bryant Park, einst lebensgefährlich und von Müll übersäht, erstrahlt heute als Großstadtoase, flankiert von der ehrwürdigen New York Library. Rudolph Giuliani, bekannt geworden als der 107. Bürgermeister New Yorks und vor allem als der, der sich gegen die Kriminalität einsetzte und die Stadt wieder lebenswert machte, hat auch diesen schönen Rückzugsort zu verantworten. Fast jeden Tag unserer Reise werden wir ihn aufsuchen und wenigstens einen ganz kurzen Moment ausruhen. Wir sind froh, heute hier zu sein und nicht etwa in den 1990er Jahren, als Drogenkriege, brennende Mülltonnen und organisierte Verbrechen noch zum Stadtbild gehörten.

So betreten wir völlig furchtlos den sagenumwobenen Times Square, der mit dem Londoner Picadilly Circus doch nur ansatzweise zu vergleichen ist. Bunte Lichter strahlen uns von riesigen Werbetafeln entgegen, vor lauter Blinken und Blenden wissen wir gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollen. Wir lassen uns treiben, im Strom der Menschenmassen und spüren bei dem vielen Staunen unsere schmerzenden Füße nicht mehr, denn wie Paul Auster schon feststellte: New York ist „ein unerschöpflicher Raum, ein Labyrinth von endlosen Schritten“, und so weit wir auch gehen, „es hinterlässt immer das Gefühl, verloren zu sein.“

Die legendäre Brooklyn Bridge führt uns zurück zu unserer Unterkunft. Wir betreten sie lieber bei Tageslicht und von Brooklyn aus, denn nur so haben wir die ganze Zeit die wahnsinnige Skyline Manhattans vor Augen, während wir durch die Doppelbögen, die an Eingänge zu einer Kathedrale erinnern, und inmitten der wie ein Spinnennetz wirkenden Stahlseile die fast zwei Kilometer abschreiten. Unter uns brummt der Verkehr, links von uns zeigen sich die Freiheitsstatue und Staten Island, rechts von uns liegt die Manhattan Bridge, die zweite Verbindung über Land zwischen den Stadtteilen, die so nah liegen und sich doch so fern sind. Drei Taxifahrten während unserer Reise beweisen, dass man aus Manhattan eigentlich nicht nach Brooklyn will – der erste Fahrer sucht die Adresse unserer Unterkunft vergeblich in seinem Navigationssystem, der zweite fährt uns nur, wenn wir ihm ganz genau den Weg beschreiben und die dritte Fahrerin will erst überhaupt nicht nach Brooklyn und bietet uns an, uns noch bis über die Brücke zu bringen. Danach sollen wir weitersehen…

Bleibt immer noch über einiges zu berichten: vom Ausflug in den Central Park und in die Bronx, wo heute noch Edgar Allen Poes letzter Wohnort erhalten ist, und natürlich vom Ausflug nach Washington, der Hauptstadt, die sich so ganz anders in die Landschaft fügt. Davon im nächsten Teil mehr!
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