John Williams: Stoner

imageAuf den ersten Blick scheint der Roman rund um die tragische Lebensgeschichte des Protagonisten William Stoner recht unspektakulär: Stoner, dem als Sohn mittelloser Farmer ein trostloses Leben als Feldarbeiter bevorsteht, entdeckt seine ungeahnte Liebe zur Literatur und beschließt, seinem Leben eine Wendung, einen neuen Sinn zu geben. Er wird Universitätsprofessor, führt eine unglückliche Ehe und stirbt im Alter von 67 Jahren an Krebs. So langweilig diese Geschichte auch zunächst klingen mag, lesenswert ist sie allemal, denn es handelt sich hier um einen brillant geschriebenen Roman, der in die Psyche eindringt und am Ende der Geschichte existentielle Fragen aufwirft. John Williams hat einen sensiblen Roman erschaffen, dessen ebenso sensibler Protagonist hoffnungslos und heldenhaft zugleich wirkt. Stoner erlebt kleine Siege und große Niederlagen. Er führt ein genügsames Leben, das durch Geradlinigkeit und Bescheidenheit geprägt ist. Mit seiner schnörkellosen, klaren Schreibweise erzählt John Williams die Geschichte eines Mannes, der sich, einmal gefunden, Stück für Stück zu verlieren scheint…

Stoner verbringt seine triste Kindheit auf der Farm seiner Eltern, die vom Autor in nur wenigen Szenen so authentisch geschildert wird, dass die Trostlosigkeit dieses Nebeneinander-Herlebens greifbar ist. Und doch ist es die unausgesprochene Liebe der Eltern, die ihm ein Studium der Landwirtschaft an der Universität in Missouri gewährt. Von hier an ist Stoners Leben nur noch in oder um das Gelände der Universität angesiedelt – charakteristisch für einen Campus-Roman. Nachdem Stoner ein Sonett von Shakespeare liest, wird er sich seiner wahren Leidenschaft bewusst: der Literatur. Er kann sich ihr nicht mehr entziehen und beschließt, sich von der ihm bevorstehenden Zukunft als Farmer abzunabeln und Literatur zu studieren. Der Leser wird Zeuge einer aufrichtigen Leidenschaft, der sich der Protagonist treu, unverstellt und mit ganzem Herzen hingibt. Dieser Moment der Erfüllung ist ihm jedoch nicht allzu lange gegönnt: Nachdem er sein Studium abgeschlossen und an selbiger Universität den Posten des Literaturdozenten angenommen hat, heiratet er die unerfahrene und sehr labil wirkende Edith. So hastig sie die Ehe eingehen, so schnell stellen beide fest, dass sie nichts miteinander verbindet.

Edith stellt das Gegenstück zu Stoner dar – sie ist laut, fordernd, hysterisch, dreist, selbstsüchtig mit einem Hang zum Dramatischen. Während Stoner die bitteren Momente seiner Ehe schweigsam erduldet, setzt Edith alles daran ihrem Mann das Leben unerträglich zu machen. Seiner Tochter zuliebe, zu der er eine wahrhaftige und liebevolle Beziehung aufgebaut hat, lässt Stoner jegliche Demütigung über sich ergehen. Als Edith beschließt, ihm auch seine Tochter zu entziehen, spürt der Leser den qualvollen Schmerz, den Stoner erleidet, so eindringlich, dass er am liebsten ins Geschehen eingreifen möchte. Während Stoner alle Schikanen stillschweigend erduldet, wird er Stück für Stück vom Leben zermürbt: Intrigen und psychischer Druck zwingwn ihn dazu, seine Liebe zu einer jungen Studentin aufzugeben und als wäre all das nicht genug, erfährt er kurz vor der Emeritierung von seiner unheilbaren Krebserkrankung.

Stoner ist ein Roman über Freundschaft, Arbeit, Intrigen und Liebe. Es ist kein klassischer Liebesroman, aber ein Roman über die Liebe zur Literatur, die William Stoner bis ans Sterbebett begleitet. Stoners letzte Worte sind: „Was hast du denn erwartet?“ Diese Frage stellt den eindringlichsten Moment des Romans dar und man fragt sich automatisch: Was erwarten wir vom Leben? Was ist ein gelungenes Leben? Inwiefern sind wir für unser Schicksal und unser Scheitern mitverantwortlich? Was heißt es, ein Mensch zu sein?

Melancholische Fragen wie diese hinterlassen beim Leser ein beklemmendes Gefühl, das durch die hervorragende Schreibweise des Autors hervorgerufen wird, der es versteht, in jeder Situation den passenden Ton zu treffen, um den Leser nicht zu verlieren. Der Roman erzählt von eineer wahrhaftigen Lebensgeschichte, die bewegt.

Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Deutsche Erstausgabe
352 Seiten
ISBN 978-3-423-
28015-0