Wenn man mit den Händen spricht… Von der auditiven- zur visuellen Wahrnehmung von Sprache

GebärdenspracheInteressiert beobachte ich seit einiger Zeit morgens am Bahnhof eine kleine Gruppe junger Gehörloser, die anhand der Gebärdensprache untereinander kommuniziert. Beeindruckt von der Ruhe und Natürlichkeit der Sprache (und spätestens nach dem Saarbrücker Tatort “Totenstille”), möchte ich mehr über die Sprache, die einen so ungezwungenen, ungekünstelten Eindruck auf mich macht, erfahren. Eine kurze Zusammenfassung wichtiger Informationen über die Gebärdensprache:

Was ist die Gebärdensprache?

Gebärdensprachen sind die natürlichen Muttersprachen tauber Menschen. Eine Gebärdensprache ist eine visuell wahrnehmbare und manuell produzierte natürliche Sprache, die aus Handzeichen, Mimik, Körper- und Kopfhaltung besteht. Die visuell-manuellen Sprachen verfügen sowohl über eine eigene komplexe Grammatik als auch über ein umfassendes Vokabular. Die Wörter der Sprachen nennen sich Gebärden. Gebärdensprachen sind keine gebärdete Version existierender gesprochener Sprachen, sondern eigenständige Sprachen, die in ihrer Vielfalt den Lautsprachen in Nichts nachstehen. Die jeweilige Landessprache, wie bei uns Deutsch, ist für viele Gehörlose eine Fremdsprache. Fest steht, dass sich in der Gebärdensprache über alles “sprechen” lässt.

Gibt es eine internationale Gebärdensprache?

Entgegen der verbreiteten Annahme, gibt es keine einheitliche Gebärdensprache für Gehörlose. Gebärdensprachen sind natürlich entstandene Sprachen, die genauso wie Lautsprachen, über eigene nationale Dialekte verfügen. Ein japanischer Gehörloser kann sich mithilfe der Gebärdensprache also nicht auf Anhieb mit einem deutschen Gehörlosen austauschen, weil sich Vokabeln und Grammatik voneinander unterscheiden.

Können Gehörlose Lippenlesen?

Julia Probst (Gehörlose Inklusions- und Barrierefreiheitsaktivistin, Lippenleserin und Bloggerin) stellt in einem FAZ-Interview zu diesem Thema klar, dass man nicht davon ausgehen darf, dass alle Gehörlosen auch Lippen ablesen können, da das Lippenlesen von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Außerdem haben deutsche Sprachforscher herausgefunden, dass es insbesondere in der deutschen Sprache schwierig ist, gesprochene Wörter abzulesen, weil viele lautsprachlich ähnliche Wörter existieren, die aber eine unterschiedliche Bedeutung haben (z.B. Butter ─ Mutter). Insgesamt, so Julia Probst, sei in etwa 15 Prozent der deutschen Sprache für Lippenleser ablesbar.

Man kann mithilfe dieses Spiels testen, ob und wie gut man selber im Lippenlesen ist.

Was ist das Fingeralphabet?

Das Fingeralphabet ist eine Art Brücke zwischen der Gebärdensprache und der Lautsprache. Sie wird benutzt, um unbekannte Begriffe, Fremdwörter, oder Namen/Eigennamen zu buchstabieren. Hier kann man sich einen Einblick in das deutsche Fingeralphabet verschaffen.

 

Die Gebärdensprache wurde lange Zeit unterdrückt. Eltern wurden dazu gezwungen mit ihren tauben Kindern in Lautsprache zu kommunizieren, da man von ihnen verlangte, sich an die hörende Gesellschaft anzupassen, z.B. über das Lippenlesen. Die Antipathie gegen die Gebärdensprache ist mittlerweile zum Glück zurückgegangen und die rechtliche Anerkennung der deutschen Gebärdensprache erfolgte 2002 mit dem Behindertengleichstellungsgesetz, hier nachzulesen.

Alle, die gerne mehr über Gebärdensprachen erfahren möchten, oder sie gar lernen möchten, finden zahlreiche Videos hierzu im Netz oder werfen einen Blick auf diese Internetseite. Viel Spaß!

 

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