Plötzlich Deutschlehrer

Zwischen Ankunft in Deutschland und Anerkennung des Asylantrags liegen oft viele Monate. Asylbewerber haben in dieser Zeit keinen Anspruch auf einen offiziellen Deutschkurs. Deswegen sind derzeit Tausende Ehrenamtliche in ganz Deutschland im Einsatz, um Flüchtlingen die deutsche Sprache näher zubringen. In alphabet-379221_960_720einigen Bundesländern wurden pensionierte Lehrer aufgerufen, sich wieder für den Unterricht zu rüsten. Verlage und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bieten eine Reihe von Handreichungen für den Anfängerunterricht mit heterogenen Lerngruppen an. Eines dieser Pakete trägt den dramatischen Namen „Erste Hilfe Deutsch“. Aber die Mehrheit der neuen Sprachpaten qualifiziert lediglich die Tatsache, dass das Deutsche ihre Muttersprache ist.

Man sollte sich deswegen nicht der Illusion hingeben, dass eine Lerngruppe arabisch-syrischer Flüchtlinge ohne jegliche Deutschkenntnisse nach wenigen Wochen Unterricht munter drauflos plaudert. Es geht ja nicht um ein wenig Nachhilfe in Konversation. Die meisten Teilnehmer der Deutschkurse müssen alphabetisiert werden, weil sie die lateinischen Buchstaben nicht kennen. Der Bildungsgrad innerhalb der Gruppe wird sehr unterschiedlich sein. Manche können vielleicht nicht einmal lesen und schreiben. Hinzu kommen kulturelle Unterschiede und die für die Ehrenamtlichen mitunter ungewohnte Situation, vor einer Gruppe von Menschen zu stehen, die einem zuhört. Wo fängt man da an?  Welche sprachlichen Fähigkeiten braucht ein Asylbewerber, um sich in Deutschland möglichst schnell zurechtzufinden? Wie erklärt man den Dativ?

Gehen wir von der derzeit größten Gruppe der Flüchtlinge aus Syrien aus, lernen sie mit dem Deutschen eine Sprache aus einer anderen Sprachfamilie. Besonders die Schriftformen sind sehr unterschiedlich. Arabisch bzw. die syrische Form des Arabischen hat ganz eigene Schriftzeichen und wird von rechts nach links geschrieben – und zwar nur die Konsonanten und Langvokale. Auch der Klang und die Satzbetonung des Deutschen sind für arabische Muttersprachler sehr ungewöhnlich. Sie erkennen nicht ohne weiteres, wo ein deutsches Wort im Satz anfängt und aufhört. Es gibt auch Gemeinsamkeiten: so hat auch das Arabische Stammformen der Wörter, die nach Person, Numerus und Geschlecht flektieren. Trotzdem ist viel Geduld gefragt, um im meist mündlichen Unterricht bestimmte Klangmuster zu vermitteln und so grammatische Merkmale zu erklären. Hinzu kommt das Erlernen von Vokabeln, das in jeder Sprache mühsam ist, für arabisch sprechende Deutschschüler aber außerdem bedeutet, dass Deutsch ein Genus mehr besitzt als das Arabische.

Die Kinder aus den Flüchtlingsfamilien haben es da besser. Egal ob geduldet, Asyl suchend oder schon in Deutschland angenommen: Die allgemeine Schulpflicht gilt für alle Kinder ab sechs Jahren. Die meisten werden wenige Wochen nach ihrer Ankunft in eine Regelklasse eingeschult. Ein guter Teil des Spracherwerbs erfolgt zudem ungesteuert beim gemeinsamen Spielen. Trotzdem ist es wichtig, dass Schüler mit Deutsch als Zweitsprache besonders gefördert werden. Ansonsten droht die Gefahr, dass unzureichende Deutschkenntnisse den späteren Studenten und Berufsanfängern zum Nachteil gereichen.

Doch in den Schulen fragt man sich bereits heute, wie der Zusatzunterricht zur Vermittlung des Deutschen organisiert werden und vor allem auch bezahlt werden soll. Denn in manchen Bundesländern sind ja bereits jetzt nicht genügend Lehrkräfte vorhanden. Hier kann es übrigens sogar um Unterricht in der Muttersprache der Kinder gehen. Denn Studien haben ergeben, das Zuwandererkinder besser Deutsch als Zweitsprache lernen, wenn sie auch ihre Muttersprache gut beherrschen. Die Eltern der Kinder handeln also richtig, wenn sie möglichst viel in ihrer Muttersprache mit ihren Kindern sprechen.

So willkommen die Hilfsbereitschaft derzeit ist, in der Realität wird es mit ein wenig Nachhilfeunterricht und Konversationskursen nicht getan sein. Die sprachliche Integration derjenigen, die heute Flüchtlinge und morgen Zuwanderer sind, wird eine Aufgabe, die das Land noch Jahre beschäftigen wird.

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