Machen wir Musik oder macht die Musik uns?

Musik hat Macht. Sie kann unzählig viele verschiedene Formen annehmen. Sie macht etwas mit uns. Den einen macht sie glücklich, den anderen traurig. Manch einem kann sie auf die Nerven gehen und wieder ein anderer kann vielleicht ohne Musik nicht leben. Sie bewegt und berührt uns, und das manchmal auf ganz eigenartige Weise. Da, wo Worte nicht mehr zu finden sind, steht Musik. Und spricht durch sich selbst – manchmal mit und manchmal ohne Worte. Sie spricht auf einer anderen Ebene, die sich nicht richtig fassen lässt.

Doch Musik macht nicht nur etwas mit uns, auch wir machen etwas mit der Musik. Fast ein bisschen wie mit der Frage nach der Henne und dem Ei. Was war zuerst da? Ich glaube tatsächlich, dass es auch im Kontext der Musik keine Antwort darauf gibt. Musik wird nur greifbar, wenn wir sie kreieren, was aber nicht heißt, dass wir sie aus dem Nichts heraus erfinden. Ist es nicht vielmehr so, dass die musikalische Welt schon existiert und wir sie nur entdecken? Dass alle Töne schon vorhanden sind und wir sie bloß ordnen und ihnen Namen geben, um dann mit ihnen zu arbeiten? Die Musik gibt uns vor, wie wir mit ihr umzugehen haben. Sie “macht” uns. Wir können ihre Magie nur erfahren, wenn wir uns ihren Regeln beugen. Andererseits ist die Musik auf uns als Vermittler angewiesen: Erst durch den Musiker wird sie sichtbar – oder genauer gesagt hörbar. Ein endloses Wechselspiel.

Auch auf physischer Ebene kann Musik viel bewirken. Höheres Konzentrationsvermögen, bessere Sprachleistungen, größeres Gedächtnis… Forschungen zeigen, dass Musik unsere Fähigkeiten sowie unsere Lebensqualität auf vielfältige Weise fördern kann. Beispielsweise haben Sänger eine bessere Schleimhautabwehr und infizieren sich seltener mit Viren. Oder Kinder, die sich früh mit Musik beschäftigen, können Gehörtes besser filtern und auch bei viel Lärm und Hintergrundgeräuschen bekannte Stimmen heraushören. (Eckart Altenmüller)

Ebenso interessant ist der Zusammenhang zwischen Schmerz und Musik. Der Schmerzeindruck entsteht im lymbischen System, dem Teil des Gehirns, in dem auch die Emotionen sitzen. Musik wird über die gleiche Stelle wahrgenommen und kann daher das Gefühl des Schmerzes ein Stück weit “überspielen” und ausblenden. (Eckart Altenmüller)

Auch ohne Forschung ist es offensichtlich, wie sehr sich Musik in unser Gehirn einbrennen kann. Häufig ist ein Lied zum Beispiel an eine bestimmte Erinnerung gebunden. Sobald wir das Lied hören, wandern unsere Gedanken zurück zu dem Moment, an den es uns erinnert. Oder so manches Stück will uns einfach nicht aus dem Kopf gehen und bleibt tagelang als Ohrwurm. Wer kennt das nicht? Womit wir dann wieder am Anfang des Textes wären: “Manch einem kann sie auf die Nerven gehen…”

Für mich ist Musik eine ganz besondere Form von Kreativität, weil sie so kunstvoll Schrift und Ton miteinander verbindet, und dadurch wiederum Bilder erzeugt. Wenn sie gut gemacht ist, natürlich… Aber vielleicht sollte man da auch gar nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden, sondern einfach zwischen “spricht mich an” und “spricht mich nicht an”. Denn Kunst zu bewerten, ist eine unglaublich schwierige Sache. Weil sie so frei von Vorgaben ist und wir statt festgelegten Vorgaben immer bloß unsere persönlichen Vorlieben als Grundlage für die Bewertung heranziehen. Und ohnehin: Wenn Kunst mit Authentizität präsentiert wird, sollte man nicht vergleichen – sondern einfach wahrnehmen, genießen und die Kunst in ihrer wunderbaren Individualität schätzen.

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