Wiederkehr und Spieltrieb – Zyklus oder Progress?

„Als er sich vom Fenster abwandte, verspürte er kein Bedürfnis mehr, über seine Berufswahl nachzudenken. Für heute fühlte er sich im Reinen mit sich selbst und mit der Welt in ihrer ewigen, formelhaften Wiederkehr.“ (Zeh 2006: 56)

Bei dem vorliegenden Zitat handelt es sich um einen erzählerischen Kommentarpassus aus dem Roman Spieltrieb von Juli Zeh. Es geht um den Lehrer Smutek, der durch seine hochbegabte Schülerin Ada und deren Mitspieler Alev in ein kurioses Netz von Verstrickungen gerät, die nach Auffassung ihrer Urheber letztlich der geistigen Vervollkommnung dienen sollen, aber nichtsdestoweniger sowohl mit Moral wie mit Recht in signifikantem Maße konfligieren. Doch Alev und Ada sind Nihilisten, genauer gesagt deren „Urenkel“ (ebd.: 7); für die Kontinuität und den Erhalt abendländischer Werte haben sie aus eigener Sicht keine Sorge zu tragen. Gleich dem Löwen in den Verwandlungen von Nietzsches Zarathustra opponieren sie gegen die Überlieferungen und normativen Fundamente ihrer Gesellschaft – und suchen diese sogar mit der zu Gebote stehenden kindlichen Spontaneität einem Spiel einzuverleiben (vgl. Nietzsche KSA 4: 29 ff.). „Es gibt kein Für und Wider, keine Gründe für rechts oder links. Die menschliche Entscheidung ist nichts weiter als ein vortrefflich einstudiertes Spiel.“ (Zeh 2006: 179) Ethische Pflichten sind im Fall der Jugendlichen also beileibe nicht, wie man wissenschaftlich sagt, zulänglich internalisiert. Sie erweisen sich vielmehr als ein Mittel, um Macht auf das jeweilige Gegenüber auszuüben.

Unangesehen des weiteren Inhalts von Spieltrieb gilt es im Folgenden das Spiel an sich und seine mit Nietzsches zentralem Lehrstück einhergehenden Implikationen unter ausgewählten Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen: Der Gedanke einer ewigen Wiederkehr (oder Wiederkunft) aller Dinge ist eine Figur aus Nietzsches Spätwerk, die mit unterschiedlicher Akzentsetzung entweder die kosmologische These einer zyklischen Zeit bei begrenztem Raum und folglich eintretender Wiederholung fokussiert oder aber deren existentielle Dimension für jeden Einzelnen, der unter Zugrundelegung stets identischer Konstellationen auch sein Leben angesichts dieser monströsen Relativierung zu gestalten hat; dem trotz einer umfassenden Kausaldetermination die Aufgabe obliegt, Künstler dieses eigenen Lebens zu werden (vgl. zu der kosmologischen und existentiellen Auslegung: Springmann 2016).

Es mag anmuten wie eine Gratwanderung par excellence: jeden Augenblick in dem Bewusstsein leben, dass er sich noch viele, viele Male aufs Neue vollzieht – ganz gleich, ob er uns nun Unbehagen bereitet hat oder innige Freude. Wenngleich dieses Experiment nun sowohl in seiner kosmologischen wie in seiner existentiellen Auslegung beträchtliche Defizite offenbar werden lässt, die einander sogar noch verschärfen, so kann man sich dennoch fragen, ob es nicht von einer außerordentlichen Produktivität zeugt, nach dieser Maßgabe seine Stunden zu verleben; ob nicht so eine ungemeine Spannung gewonnen wird, die man andernfalls, im Alltag beispielsweise, gar nicht erzielen könnte. Man mag absehen von spekulativer Mutmaßung, die den gesamten Kosmos als sich in seinen Zuständen verstetigendes Gefüge vorstellt. Gleichwohl kann man auch als philosophischer Laie den Versuch unternehmen, seinem gegenwärtigen Tun ein bedeutsameres Gewicht einzuräumen, als man es vielleicht gemeinhin bereit wäre. Man könnte vor diesem Hintergrund selbst in Betracht ziehen, an einer Art Spiel teilzuhaben: Ein Spiel, das – obwohl wir es nicht selten mit dem „Leben“ gleichgesetzt hätten – im Rahmen eines zirkulär verfassten Wiederkunftsprozesses bestimmten (kausalen) Regeln unterworfen ist; ein Spiel, das sich in seiner vollen Tragweite über einen raumzeitlich eingegrenzten Schauplatz erschließt und keinen säkularen Absichten Folge leistet. Im Wesentlichen kann man hier eine Übereinstimmung mit Johan Huizingas paradigmatischer Fassung des Spiels geltend machen (vgl. 2019: 22).

Überdies gibt es auch Vorschläge, die mit der Zirkularität selbst das Herzstück der Wiederkunftslehre als redundant in Ansehung des Ziels ausweisen, das man im Rahmen einer ästhetischen Intensivierung des jeweiligen Moments eigentlich verfolge (vgl. insbesondere Springmann 2016).

„Positiv gewendet kann man auch gerade die Singularität dieses einen Lebens innerhalb der Ewigkeit herausstreichen und bejahen und somit die Bedeutung des eigenen Lebens im Hier und Jetzt.“ (ebd.: 97)

Vielmehr gilt es diesem Ansatz zufolge also der Ewigkeit als einzigartiger und nicht mehr kreisförmiger Ordnung insgesamt zu genügen: Dies wäre auch ohne Weiteres mit einer linearen Zeitauffassung zu vereinbaren. Letztendlich muss jeder selbst wissen, ob er dem „You-only-live-once-Denken“ den Vorzug gibt oder der exotischen Zyklizität, aus deren Fundus nicht nur Nietzsches Zarathustra geschöpft hat.

Wir können vor diesem Hintergrund festhalten, dass ein Moment der Achtsamkeit neben den unzähligen Augenblicken, die wir versunken in unserem Treiben zubringen, sicherlich nicht von Nachteil wäre. Ob wir unsere Zeit nun linear oder zyklisch konzipieren – wir müssen nicht den pubertären Nihilisten aus unserem Roman Spieltrieb zuarbeiten, die ungeachtet ihres schöpferischen Potenzials überwiegend auf einer destruktiven Ebene verweilen, indem sie beinahe das Leben ihres Lehrers zerstören. Die wahre Spontaneität nämlich gelangt nach Zarathustra auch zu einer eigenen Bejahung, die in normativer Autonomie ihren Niederschlag findet und gerade gut daran tut, über die Dekonstruktion des Bestehenden hinauszuschauen.

„Ja, zum Spiele des Schaffens, meine Brüder, bedarf es eines heiligen Ja-sagens: seinen Willen will nun der Geist, seine Welt gewinnt sich der Weltverlorene.“ (Nietzsche KSA 4: 31)

Quellen:

  • Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA) in 15 Bänden. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. München/New York: dtv/de Gruyter 1999. Band 4: Also sprach Zarathustra.
  • Huizinga, Johan: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2019. Original: Hamburg: Rowohlt 1956.
  • Zeh, Juli: Spieltrieb. München: btb 2006.

Literatur:

  • Springmann, Simon: „Ring der Ringe“, „Rad des Seins“, in: Stefan Berg, Hartmut von Sass (Hg.): Regress und Zirkel. Figuren prinzipieller Unabschließbarkeit: Architektur – Dynamik – Problematik. Hamburg: Meiner 2016, S. 74–98.

Weiterführend:

  • Duhamel, Roland: „Die Urenkel der Nihilisten“, in: Josef Kraus, Walter Krämer (Hg.): Sternstunden. Große Texte deutscher Sprache. Paderborn: IFB Verlag 2020, S. 437–440.

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